März 28, 2023

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Acht Berge

Acht Berge - Filmplakat
DCM Film Distribution GmbH

Ich weiß nicht, wer wieder darüber geschrieben hat, dass jeder in den Film rennt … aber irgendwas ist passiert, denn auch ich habe mir aus Natur-Interesse ein (Frei)Ticket gebucht und bin in das bis dahin noch fast leere Kino.

Als meine Wenigkeit jedoch im Saal ankam, musste ich sogar falsch sitzende Personen verscheuchen, um überhaupt noch einen Platz zu bekommen und schlussendlich waren in der Vorstellung im gesamten Saal noch ganze 3 (!) Plätze frei.

Was heißt das?

Erstens: Kino lebt! Und das ist super erfreulich. Ich gönne es wirklich jedem Independent-Schuppen aus tiefstem Herzen, dass sämtliche Sitzplätze gebucht sind und das Haus Geld verdient – ohne euch geht unsere Menschlichkeit verloren.

Zweitens: 4:3 funktioniert auch heute noch – sogar auf der großen Leinwand!

Eigentlich ist es Wahnsinn, denn dieses Format sollten wir uns alle längst abgewöhnt haben, aber auch damit ist noch kreatives Schaffen möglich, auch wenn man das als Außenstehender kaum glauben mag. Immerhin steht das für mediale Überalterung und technische Unfreiheit, die wir in den letzten Jahrzehnten überwunden geglaubt haben.

Aber dieser Film donnert einem das Format auf die Augen und man freundet sich während des Films immer mehr damit an – auch, weil es eine unterschwellige Botschaft enthält.

Acht Berge ist zwar nicht die Form von Unterhaltung, nach der der actionblockbustergeschwängerte Zuschauer dürstet, wohl aber ein Film, der eine ungestillte Sehnsucht aufruft und sie mit seinen 147 Minuten Laufzeit zu erfüllen versucht.

Man begibt sich wieder zurück zu den Ursprüngen. Die Menschheit hat die Transformation von der Steinzeit übers Mittelalter hin zum technologischen Fortschritt vollzogen, ist dann in den Kapitalismus eingezogen und hat dort angefangen, ordentlich zu wüten. Inzwischen wurden so viele Dinge ad absurdum geführt, dass es nicht mal mehr himmelschreiend ist, sondern man sich quasi mehr oder weniger schon damit angefreundet hat, dass die Hölle einfach allgegenwärtig ist.

Nun findet man seinen Weg zurück zu den Anfängen, zum Simplizismus, zur Natur. Dorthin, wo nichts ist und der Mensch auf sich selbst gestellt leben kann. Keine Distractions – außer vielleicht hier und da mal der gnadenlose Tod – aber auch das wiederum minimalistisch und ohne große Umwege.

Dass diese Übersichtlichkeit heute nicht mehr gegeben ist, macht viele Menschen verrückt. Zum Beispiel der Erfolg des 9€-Tickets bemisst sich oft an Aussagen wie „Es war so toll, dass in ganz Deutschland nur ein einziger Tarif galt – es war übersichtlich und hat dem Tarifdschungel der ganzen Waben den Garaus gemacht“. Die Menschen sehnen sich nach Einfachheit – und Acht Berge liefert sie.

Dieser wunderbare Film handelt eigentlich über Freundschaft außerordentlichen Maßes, wo selbst ich immer wieder erstaunt war, wie toll und „unstrittig“ man das geschehen lassen konnte – und man merkt deutlich die Einflüsse der Macher, die dies alles eher als „Liebesgeschichte“ denn als Film über Freundschaft behandelten. Ob sich Wege trennen oder zusammen finden, ob man sich für das ein oder andere Konzept entscheidet, spielt hier schon kaum mehr eine Rolle – vielmehr wird ein sehr repräsentatives und glaubhaftes – und vor allem nacherlebbares Bild von ursprünglichem Leben vermittelt, das ich so kaum auf der Leinwand erwartet hätte.

Auch ich kenne höchstpersönlich die Pein von gefrorenen Fingern, weil man irgendwo im Schnee Holz aus dem Matsch zieht, spaltet und klein reißt, um damit Feuer zu machen, damit der eigene Arsch nicht an der Bank festfriert und man morgens wieder lebendig aufwacht.

Ich habe meinen 10jährigen Job auf der Berghütte oft als „autarkes Leben auf über 1200 m Höhe“ beschrieben, auch wenn da noch wesentlich mehr Luxus vorhanden war, als die Herrschaften im Film vorfinden, aber dadurch kann ich bezeugen, dass diese Form von Leben sehr natürlich und reell dargestellt wurde – was für mich ein großer Pluspunkt ist.

Das andere ist: Acht Berge ist ein wunderbarer „Kuschelfilm“, der dazu einlädt, ihn nachmittags im heimischen Fernseher anzuschalten und dabei einfach derbe wegzudösen um dann seelenzufrieden aufzuwachen, weil „irgendwer irgendwas in der Ferne hämmert“. Dieser pure Frieden, dem einen diese Landschaften in natura vermitteln, strömt auch aus diesem Film. Es ist ein Werk, das man vielleicht nicht chronologisch durchschauen muss, sondern auch in den Alltag reinsplitten kann – aber es funktioniert. Und da sich viele oft per se nicht dazu im Stande sehen, „auch dahin zu reisen, weil…“ man keine Zeit hat, die Beine das nicht mehr mitmachen, es wegen Familie nicht geht, blablabla … bleibt immer noch die Möglichkeit, ganz nah ins nächste Dorfkino zu entschwinden und dort einfach für knapp 3 Stunden (mit Werbung) unterzutauchen.

.kinoticket-Empfehlung: Ein Schritt in die Zukunft, der die Allgegenwärtigkeit der Hektik und des metropolen Kapitalismus mit einer steinzeitlichen Waffe schlägt: Simplizismus. Eine überaus gelungene und wertvolle Reise durch die Essenzen des Menschseins.

Nachspann: 🔘⚪️⚪️ | Anfangs ploppt nochmal ein Bild auf, danach kann man den Saal getrost verlassen.

Kinostart: 12. Januar 2023

Original Title: Le Otto Montagne
Length: 147 Min.
Rated: FSK 6

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