
I’m not okay with you, world. Step aside and let me rest in piece.
Man muss es wollen. Man muss wirklich Bock drauf haben und kann die egalitäre Grundhaltung, mit der manche durchs Leben gehen, das Klo runterspülen. Reingehen und Bock drauf haben, oder draußen bleiben und Fresse halten.
Warum liefert Hollywood immer Antworten auf unausgesprochene Gefühle? Warum macht die Leinwand immer genau das, was in einem vorgeht, von dem man glaubt, niemand verstünde es?
Beau is Afraid. Afraid. Für die Non-Double-Linguistiker unter euch: Afraid heißt Angst. Beau hat Angst. So heißt dieser Film.
Film? Dieses großartige Meisterwerk, das in meinen Augen niemals hätte aufhören dürfen, denn es vereint so viele großartige Dinge in sich, dass ich mich drin baden und in seiner Haut einziehen möchte.
Joaquin Phoenix ist sowieso so ein Hirn, der einen völligen Dachschaden hat und in seinen Filmen Rollen auslebt, die … unnatürlich sind. Unnatürlich gut. Er findet immer wieder Rollen mit so abgefuckten Persönlichkeiten und bringt diese dann auch extrem gut rüber.
Das war meine Spitze, die mich dazu angetrieben hat, mir den Film anzusehen.
Yoah, die Welt (inkl. Presse) kotzt ab, beschwert sich die ganze Vorstellung drüber, was das für ne Scheiße ist und was man dazu bitte schreiben soll … ich such mir die nächste City, trag mich in die Pressevorführung als Gast ein und genieße die Show. Erneut.
Triggerwarnung: Dieser Film heißt nicht nur Angst, sondern vollbringt das Kunststück, eine Panikattacke nach der anderen aneinanderzureihen. FUCK YOU – wie viele Ängste kann man bitte sammeln und in eine einzige Persönlichkeit stecken? Ohne Witz – das Ding geht geschlagene 3 Stunden und es gibt nicht eine einzige SEKUNDE (!) in der nicht wieder irgend ne neue Angst vorgestellt und auszelebriert wird. ALTER!
Und genau diese abgefuckte Beschissenheit, in der man sich als dreckiges Wesen sieht, das solchen unrühmlichen Monumental-Devastations unterworfen ist, verkörpert Phoenix hier, das mir nur ein einziges Wort dazu einfällt: Extraordinary!
Junge, ist dieses Ding phänomenal! Es reißt dir förmlich den Arsch auf und schaut tief in das hinein, was wir als menschlichen Korpus bezeichnen würden und bringt all die teuflischen Wahrheiten ans Licht.
Was muss man geschluckt haben, um auf so ein Drehbuch zu kommen? Was braucht es, um so eine kongeniale Verfilmung menschlicher Abgründe zu komponieren?
Und es ist nicht etwa „dumm“, oder „seelenlos“ oder „einfallslos“ oder einfach nur verquietscht böse, nein, es herrscht so viel filmische Kompetenz, dass man davon niedergemetzelt wird! Ideen, Umsetzung, Metaphern, Ausführung von verschiedenen Sichtweisen, Interpretationsspielräume, es ballert den ganzen Film über auf dich ein, dass du sicher 10-15x brauchst, um überhaupt zu merken, dass immer noch Zeug da ist, was dir vorher nicht aufgefallen ist, das sich nahtlos in dieses multikomplexe Zahnradsystem der absurden Psyche einbaut.
Selbst, wenn du glaubst, du könntest dich ein wenig erholen vom Nachdenk-Pulverfass, merkst du: Du kannst es eigentlich nicht, denn die Fülle an Informationen geht schon weiter – es wird in jede Vene gepresst und wenn die dabei explodieren, ists nur schneller in deinem Körper und kann eher wirken.
Wenn’s einen Film gibt, der momentan auf mich matcht: Beau is Afraid. Ari Aster hat schon in der Vergangenheit bewiesen, dass er kein Dummkopf ist, sondern sein Handwerk beherrscht und seine Aussagen zu vermitteln versteht – das hier ist die nächste große Schöpfung, vor der ich mich tief und innig verneige.
Das ist ausnahmsweise mal kein solcher Kindergarten, wie ihn unsere Welt zur Zeit am Fließband produziert. Das hier ist tief durchdacht – nicht umsonst wird seit 2011 (!!) daran gearbeitet. Und so viel Mühe und Intensität steckt man nicht in ein Projekt, das am Straßengraben ungesehen in den Abfluss rutscht und in der Kanalisation menschlichen Seins untergehen darf.
Sich hier ins Kino zu setzen und sich tatenlos unterhalten zu lassen, ist schlichtweg verboten. Du musst es wollen. Du musst dich auf diesen außergewöhnlichen Horror-Trip einlassen wollen und jede schmerzvolle Sekunde davon durch dich durchfließen lassen und schauen, was es dabei mit dir macht.
Thank you, Aster, now I’m not alone anymore.
.kinoticket-Empfehlung: Beweist mir doch einfach, dass der Satz falsch ist: So etwas wie das hier hat es noch nie gegeben. Wer von irgendwelchen Ängsten getriggert wird, sollte einen großen Bogen um das Teil machen!
Nachspann: 🔘🔘🔘 | Brachial.
Kinostart: 11. Mai 2023
Original Title: Beau is Afraid
Length: 179 Min.
Rated: FSK 16
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