
Seit Jahren kritisiere ich das deutsche Kino. Seit Jahren regt mich massiv auf, dass unsere Kultur es einfach nicht auf die Reihe bringen will, Situationen und Szenen aus dem Leben naturgetreu auf die Leinwand zu bringen und sich immer wieder daran aufhält, „Theatersprech“ und konzipierte Strukturen irgendwelcher veralteter Lehrschaften zu kopieren, um „erfolgreich“ zu sein.
Das Ergebnis sind dann die unerträglich gewordenen, gestelzten Dialoge, die man sich im Nachmittagsprogramm alltäglich besser gar nicht mehr anschaut.
Der andere Erfolgsgarant: Hitler. Am besten noch in schwarz-weiß. Was anderes kann und darf Deutschland gefühlt nicht – und wehe, wenn jemand versucht, trotzdem Erfolg zu generieren.
André Szardenings hat es nicht nur versucht, sondern landet mit seinem ersten Spielfilm Bulldog direkt einen Volltreffer! Szardenings hat Leidenschaft in sich und will Film machen. Aus ihm fließt Energie und man spürt dem Machwerk bereits an, dass er Geschichten erzählen möchte. Und ganz ehrlich: Was hier auf mich zugerollt ist, hat mich maßlos beeindruckt.
Bulldog generiert im Kinosaal das Gegenteil dessen, was draußen grade passiert: Man wird versetzt ins sonnengereifte Urlaubsfeeling und ist direkt und einfach mal in einer Story drin. Und zwar sofort. Keine Erklärung. All die mühseligen „Wer wir sind, was wir machen und warum wir uns hier zusammen gefunden haben“-Blödsinnserklärungen: Weg.
Szardenings liefert damit eine Form von Respekt gegenüber der Intelligenz des Zuschauers, die ich in Filmen inzwischen sehr vermisse. Die Erklärung einer Figur darf Marvel im 25. Film gerne kurz umreißen für diejenigen, die acht Teile der Reihe nicht gesehen haben, aber das typische Sat.1-Kinderfilm „… und darum gehen wir ab jetzt jeden Sonntag zu Martha auf den Friedhof und machen hier dies und das“-Framing, das man in den meisten Filmen immer nutzt, braucht eigentlich kein Mensch.
Bulldog hält sich mit diesen ganzen deutschen Filmkrankheiten überhaupt nicht auf, sondern bietet eine Sache im Überfluss: Leichtigkeit. Er tänzelt durch das Geschehen, er begleitet die Figuren, die umgeben von dieser leichtfüßigen Stimmung und dem stressfreien Moment sind und überlässt dem Zuschauer selbst, rauszufinden, was hier Sache ist.
Ich war bereits auf der NRW-Premiere in Düsseldorf im Atelier im Savoy Filmtheater zugegen (Bilder gibt’s unter dem Beitrag) und habe dort im Kinosaal mit Livepublikum merken können, dass es nicht nur mir so geht, sondern ein ausverkaufter Kinosaal genauso mitgerissen wird und in emotionale Gefangennahme gerät, der Film holt einfach die Leute ab. Boum!
Und genau das begeistert mich: diese frische Erzählfreude, die unvoreingenommene und unverbrauchte Energie, der „kapitalentfremdete Devotismus gegenüber einer Sache“, die man sich zu Herzen genommen hat und die damit einhergehende Authentizität, die entsteht, weil man sein Ding einfach durchzieht und nicht schaut, dass es möglichst kaufkraftkonform ist.
Und Leute – das Ergebnis haut rein! Das Publikum ist ergriffen, der Film hat so eine Eigenart, dich sowas von „down to earth“ zu bringen und wuchtet deine Emotionen an einigen Stellen ordentlich um.
Dass der Cast hervorragend ist, verdanken wir dem kleinen Geheimnis, das Szardenings die Rolle exakt und von Anfang an auf Nitschkoff zugeschnitten und ihn quasi „gestalkt“ hat, um ihn definitiv ins Boot zu kriegen. Auch hier ist die Symbiose zwischen Schauspieler und Charakter mehr als überzeugend und zählt als der Anfang einer hoffentlich lang andauernden, erfolgreichen Karriere.
Achja: Bevor ich’s vergesse: Der Sprech! Wie häufig hab ich gesagt: „Wenn mir jemand auf der Straße begegnen und so mit mir reden würde, würde ich ihm vermutlich kurz eine reinhauen, damit er aufhört und wieder normal wird“, weil ich mir zu sehr wünsche, die Menschen würden in deutschen Filmen einfach natürlicher und normaler sprechen und nicht so übertrieben opernlike bzw. Til Schweiger-ich-reg-mich-künstlich-auf-Papa-mäßig – und wenn ihr den Film hier schaut …. AHHHHHHH 🙂 Eine Redseligkeit, die einfach so stattfindet und sowas von normal und ausgeglichen ist … was für ein Quell an fast schon konservativer Normalität, die dank der großen Umschwünge in heutiger Zeit eigentlich fast jeder inzwischen vermissen dürfte – danke dafür – und danke für einen Film, der es geschafft hat, komplexe Verwirrungen und Emotionen einfach so zu zeigen und passieren zu lassen und damit dramaturgisch eine großartige Wandlung vollzieht, ohne dabei auch nur ein einziges Wörtchen der Erklärung zu haben – sondern die Kompetenz an das Publikum weiterreicht und ihnen zugesteht: „Ihr schafft das schon. Viel Spaß dabei.“
Und vor diesem Move ziehe ich meinen Hut und sage: DANKE an alle, bitte mehr davon!
Bilder von der Premiere in Düsseldorf und Kinotermine für die Deutschlandtour, auf der André Szardenings, Julius Nitschkoff sowie teilweise Cast & Crew mit anwesend sein werden
Falls ihr euch den Film also nicht nur anschauen, sondern das „Erlebnis Kino“ hautnah erfahren wollt, dann schaut doch mal in folgende Auflistung, denn hier präsentieren die Macher den Film persönlich und wollen mit euch ins Gespräch kommen.
BERLIN
02.02.2023 – 19:30 Uhr – Babylon (Deutschlandpremiere)
mit André Szardenings, Cast & Crew
HAMBURG
03.02.2023 – 19:30 Uhr – Studio Kino
mit André Szardenings und Lana Cooper
LEIPZIG
04.02.2023 – 18:30 Uhr Passage Kino
mit André Szardenings und Julius Nitschkoff
ULM
05.02.2023 – 15:00 Uhr – Mephisto
mit André Szardenings und Julius Nitschkoff
MÜNCHEN
05.02.2023 – 20:30 Uhr – Arena
mit André Szardenings und Julius Nitschkoff
BERLIN
06.02.2023 – 20:00 Uhr – Lichtblick
mit Julius Nitschkoff
DÜSSELDORF
10.02.2023 – 19:00 Uhr – BAMBI
mit André Szardenings und Julius Nitschkoff
Der Film startet zudem ab 2. Februar 2023 in diversen deutschen Städten in verschiedenen Kinos, alle Termine dazu entnehmt ihr am besten dieser Website unter dem Reiter „Jetzt im Kino“
Abschließend noch ein paar Eindrücke von der NRW-Premiere in Düsseldorf, vielen Dank an alle Beteiligten für diesen wirklich wunderbaren Abend!
























.kinoticket-Empfehlung: Endlich (!) mal ein Film aus Deutschland, auf den man wirklich stolz sein kann: Hier wird vernünftig gesprochen, er gibt dem Publikum nicht vor, was es zu denken hat, sondern überlässt ihm die eigene Kompetenz, ist extrem leichtfüßig und unbeschwert und bringt einen wunderbar down to earth: Ein neuer Stern am Himmel des deutschen Films – weiter so!
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Braucht man nicht abwarten, hier folgen keine weiteren Szenen und Bilder mehr.
Kinostart: 02. Februar 2023
Original Title: Bulldog
Length: 96 Min.
Rated: FSK 12
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