Juni 4, 2023

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Das Blau des Kaftans

Das Blau des Kaftans - Filmplakat
© 2023 ARSENAL Filmverleih GmbH

Normalerweise verschwinden solche Werke oft direkt in der Versenkung und werden von der breiten Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen: Kein reißerisches Plakat, irgendwas Unaufregendes im Titel, scheinbar ausländisch … und dann noch von einer Frau als Regisseurin .. Und sobald man in den Klappentext schaut, auch noch ein Genre-Film…

Wie viel Vorurteil braucht man noch, um es direkt nicht zu schauen?

Gottseidank halte ich meine Augen immer nach genau solchen Werken und Independent-Perlen auf, denn genau da stecken meist die wirklich großartigen Geschichten drin.

Das Blau des Kaftans punktet eigentlich unaufhörlich und ich versuche, hier einfach mal ein paar Dinge aufzulisten:

Nähern wir uns mal mit dem Offensichtlichen: Dem Hauptdarsteller. Ein alter Mann. Das CIS-Geschwafel wabert schon, right? Yoah, dann schaut man sich den Charakter an und merkt: Wow: Was für ein Cast. Was für eine Persönlichkeit, die er hier zum besten gibt und zeigt, dass Vorurteile eben nicht allgegenwärtig sind, sondern man eine Perle von „Mensch“ ausgegraben hat, nach der sich die breite Öffentlichkeit derzeit so sehr sehnt, ohne es wirklich auszusprechen. Kurzum: Es tut unfassbar gut, seinem Wesen und Treiben zuzusehen und diese gemütliche Einsiedler-Persönlichkeit mit seiner zerbrechlichen Emotionalität zu beobachten – ein Hochgenuss.

Weiter geht’s mit der ihn umgebenden Kultur, die wir alle mit ihren unschönen Krassheiten von den Medien alltäglich vorgesetzt bekommen und einer so professionellen Auseinandersetzung damit, die die offensichtlichen Problematiken zwar anspricht, aber nicht verurteilt, sondern „leben und leben lassen“ praktiziert: Man wird in diese Welt hineinversetzt und muss sich gemeinsam mit den Protagonisten darin zurechtfinden. Quasi genau das, was im Alltag in derlei Ländern tatsächlich stattfindet. Hier beweist Touzani dermaßen viel Fingerspitzengefühl, dass es sich zwar bedrückend anfühlt, man aber dennoch niemals weit weg von der außergewöhnlich intensiven Liebe und Ehrbarkeit ist, die sie dem Hauptdarsteller angedeihen ließ.

„Ein Film über die Liebe“ würde dem, was uns hier vorgesetzt wird, aber nicht gerecht, denn der ist tatsächlich so tief durchzogen von einer unbändigen Liebe, wie sie selten auf einer Leinwand zelebriert wird, nicht nur deshalb, weil dieses Thema längst so abgenutzt und inflationär ausgeschlachtet wurde.

Diese zärtlichen Bilder, die feinen Bewegungen und hoch sensiblen Handlungen, Blicke und unausgesprochenen Dialoge sind so bildstark, wie man es selten bis nie erlebt – schon gar nicht in diesem Genremilieu.

Was mich auch direkt zum nächsten Punkt bringt: Wahnsinn, dass man einen Film machen kann, der mit diesen Eigenschaften bezeichnet werden, aber so gar nichts mit dieser Szene zu tun hat, sondern die persönliche Ehre hier über alles stellt und damit einfach nur nachahmbar und vorbildwirkend ist: So etwas beeindruckt mich ungehemmt. Persönliche Ehre ist etwas, das in unserer Gesellschaft längst abhanden gekommen ist. Man findet nicht nur ungehemmte Dummheit, sondern Verlogenheit, Verbrechen, Lug, Betrug, Mord und Totschlag und ist damit weit weg von dieser Mentalität, die uns hier vorgelebt und in aller Stille gezeigt wird: Allein dieser Moment ist den ganzen Film wert.

Dazu kommt noch so viel mehr: Die Liebe zu dieser „ruhigen Arbeit“, die Elemente der Stille, die hier immer wieder die Hauptaufmerksamkeit einfordern, die Schönheit, der man beim Enstehen zuschauen kann und die Summe all der kleinen Detailverliebtheiten, denen sich die Regisseurin hier verschrieben hat: Man mag ihr das stellenweise fast schon kitschige Ende verzeihen, in dem ihre Charaktere weit über sich hinaus wachsen: Man fühlt sich als Zuschauer auf gar keinen Fall im Stich gelassen oder irgendwie hinters Licht geführt.

.kinoticket-Empfehlung: Warum wir mehr Frauen als Regisseurinnen brauchen, hab ich gefragt…

Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Braucht man nicht abzuwarten, hier folgt nichts weiter.

Kinostart: 16. März 2023

Original Title: Le Bleu du Caftan
Length: 122 Min.
Rated: FSK 12

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