
Es ist so weit: Diesmal wird nicht der Sommer gefeiert, sondern die Öffnung der Kinos. Mit Der Spion schickt Telepool einen relativ unspektakulär klingenden Film ins Rennen, der allerdings etwas mehr Aufmerksamkeit verdient hat, als man ihm eingangs zugestehen möchte.
Der Focus-Point eines jeden Kinoereignisses, mit dem man Publikum in die Säle ziehen will, sind meist die Namen auf dem Plakat. Das wäre an dieser Stelle Benedict Cumberbatch, der mir am einprägsamsten mit seiner Rolle als Dr. Strange im Marvel-Universum hängen geblieben ist.
Zumindest hat er dort die größten Blockbuster-Avancen abgeliefert, da er sich ansonsten in weniger breitflächigeren Produktionen einen Namen gemacht hat und somit eher das intellektuellere Nischenpublikum begeistert.
Geht man noch einen Schritt weiter und schaut auf den Regisseur Dominic Cooke, landet man sehr schnell bei Am Strand, was den Verdacht eines erneuten, elitären Realisats nur noch erhärtet. Und genau darüber dürft ihr nicht stolpern.
Wir haben längst gelernt, dass wir uns auch die Geschichte unseres eigenen Planeten immer wieder neu erzählen lassen müssen – und zwar von den Menschen, die momentan gerade en vogue sind. Man löst in der Jugend keine Begeisterungsstürme mehr aus, wenn man sich mit Ikonen aus den 60ern in den Hauptrollen schmückt und aus den Boxen maximal Stereo tönt.
Umso wichtiger ist es, dass Geschichten wie diese erzählt (und wieder erzählt) werden. Hier werden nämlich gleich zwei wichtige Punkte abgehakt:
1.: Ich hab so einen Spruch, der heißt: „Irgendwann kommt alles ans Licht.“ Den beziehe ich oft auf Geschehnisse, schlimme Dinge, Korruption, Misshandlungen und alles, was irgendwann mal irgendwer verschleiern wollte. Und wenn – wie aktuell in der Corona-Krise – irgendwelcher Schindluder hinter dem Rücken der Öffentlichkeit getrieben wird, dann „kommt irgendwann alles ans Licht“.
Und bezugnehmend auf die Ereignisse, auf denen diese Erzählung basiert, wird dieses Kapitel nun im Kino aufgearbeitet und für die aktuellen Generationen ans Licht gebracht: Gut so, denn so lernt man als „fauler, mediengeiler Schüler“ endlich einprägsam Geschichte.
Und 2.: Die Menschen, die das „Original“ verbrochen haben, werden oft nicht gebührend geehrt bzw. können von ihren Taten nichts berichten. Filme wie dieser tragen dazu bei, dass solche Ikonen geehrt werden und man ihre Geschichte erzählt, um ihnen den gebührenden Respekt zukommen zu lassen, den sie möglicherweise bis jetzt nicht zugestanden bekommen haben.
Und hierfür finde ich den deutschen Titel fast schon etwas zu langweilig, denn der ist ja prädestiniert dafür, den Streifen in die „Spionage-Abteilung“ abzuschieben und vielleicht müde zu gähnen. Denn – sind wir ganz ehrlich – in jüngster Vergangenheit haben wir wenig wirklich herausragende Spionage-Thriller im Kino oder zu Hause bewundern können.
The Courier – wie das Original tatsächlich lautet – spricht da aber schon wieder eine ganz andere Sprache und spoilert das Thema nicht ganz so krass, wie es der deutsche Titel tut. Die Elite-Fraktion mag sich gerne darüber beschweren, dass Cumberbatch hier nicht ganz gradlinig heraussticht und in manchen Szenen wie reingeschnitten wirkt, vielleicht passt er wegen unseres Marvel-Vorurteils nicht wirklich in diese Zeit oder – was ich vermute – er hat seinen definitiven Film einfach noch nicht gemacht.
Ich persönlich finde sein Schauspiel allerdings hochgradig gelungen und es hat auch nicht lange gedauert, bis der Plot mich bei den Eiern gepackt hat. Hier übertreiben es in meinen Augen die „Buchrückentexte“ etwas zu sehr und führen einen eher in die Irre bzw. lösen falsche Erwartungen aus.
Mein Tipp: Schaut euch den Film einfach an und lasst die Story auf euch wirken, ohne vorher irgendwelche Erwartungen zu schüren. Also keine Trailer, keine Kurzbeschreibungen, keine Features, sondern just in time genießen.
Hier haut der Film dann nämlich richtig seine Stärken raus, weil die Zerrissenheit zwischen „Wir erzählen die Wahrheit“ und „Wir müssen’s ändern, damit das Massenpublikum auch zufrieden ist“ nicht bedient wird: Man weiß nämlich schlicht und ergreifend immer noch nicht alle Fakten über diese Fälle, da die Verantwortlichen das meiste bis heute noch unter Verschluss halten und man daher sowieso nur „raten“ kann. Und das macht aus dem Plot dann einen smoothen Erzählstrang, der sich fest im Hirn verankert und seinen Teil dazu beiträgt, dass viele Menschen unsere Geschichte wieder ein Stück weit besser verstehen können – und das eingepackt in einen hervorragenden Kinoabend voller schwungvoller Unterhaltung. Was will man da eigentlich noch mehr?
.kinoticket-Empfehlung: Nicht vom Titel in die Irre führen lassen: Hier wartet man mit einer gelungenen Umsetzung einer neuen Story auf, die sich an unsrer eigenen Historie bedient und einmal mehr einen Helden aus dem mysteriösen Umfeld der Geheimdienste offenbart. Dieser Plot ist überfällig und wird eindrücklich und harmonierend durch Cumberbatch und Ninidze auf wunderbare Weise zu einem anschaulichen Stück eigener Filmgeschichte. Sehenswert!
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Braucht man nicht vollständig abzuwarten, hier folgt nach der Schwarzblende nichts weiter.
Kinostart: 01. Juli 2021
Original Title: The Courier
Length: 110 Min.
Rated: FSK 12
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