
Wisst ihr, wie’s mir ging, als ich das Plakat gesehen und von den Pressemails umhüllt wurde? Ich war erstmal abgeschreckt und dachte mir: Och, wieder irgendwas mit Natur, man macht schon wieder unglaublich viel Wind um die Sache und naja, keine Ahnung… wird vermutlich wieder irgend so was Zweitklassiges sein, das die Produktionskosten wieder einspielen soll…
Aaaaalso hab ich mich nicht auf den Weg ins Kino gemacht, sondern alles an mir vorüber ziehen lassen.
Bis heute.
Angesichts mangelnder Alternativen (da ich alles andere bereits kenne), habe ich nun live mit Publikum doch im großen Kinosaal gehockt und bin absolut positiv überrascht: Wow – all das Heischen um Aufmerksamkeit war tatsächlich relevant und richtig.
Also macht nicht den selben Fehler wie ich und ignoriert das hier, nur, weil es euch vielleicht auch auf den ersten Moment nicht anspricht, sondern lasst mich versuchen, euch davon zu überzeugen, dass dieses kurze Filmperlchen durchaus sein Geld wert ist.
Wie ihr inzwischen sicherlich irgendwo anders bereits gelesen habt, verzichtet der Film gänzlich auf Narration. Es gibt kein Voiceover, es gibt keine Erzählstimme aus dem Off, keinen üblichen „… und da sehen wir die Welten dahingleiten“-Kommentar von irgendwem Berühmtem, mit dem man dann plakativ Werbung machen kann.
Was es gibt: Natur. Schönheit. Naturgewalten. Geräusche. Viele Tiere. Und Leben. Erinnert ihr euch an Vogelperspektiven, bei dem ich enttäuscht war, dass der Staun-Faktor so klein gehalten und die Natur selbst so in den Hintergrund gedrängt wurde, so dass der Zuschauer kaum Chancen hatte, einfach dadurch verändert zu werden?
Dieser Film macht genau das – ausschließlich. Er lässt Bilder wirken. Erzählt mit kniffligen Kameraperspektiven und unfassbar hohem Drehaufwand etwas über einen Kosmos, der gerade einmal 11 m Umfang, 112 cm Durchmesser und 17,5 m Höhe hat – all dies erfährt man aber nicht als Sensationsfakt im Film, sondern kann man nebenher recherchieren.
Die zärtliche Verbundenheit in dieser Natur ist überwältigend. Und die Art, wie man hier durch Schnitte, Perspektiven und interessante Blickwinkel in völlig neue Ecken unserer Erde entführt wird, ist berauschend. Dazu der anmutende, sanft und dezent gehaltene Score, der hier und da ein wenig Schmiegsamkeit liefert… all das ergibt einen Kosmos aus Ruhe, Frieden und Harmonie.
Und ganz ehrlich: Genau das hab ich gebraucht und kann mir sau gut vorstellen, dass ihr das auch hier und da nötig habt.
Also rein ins Kino, Licht aus, Sorgen aus, Ängste weg, Füße hochlegen, in die Arme vom Nachbarn kuscheln und genießen. Unglaublich, dass sich hinter einem so unscheinbaren Plakat eine so wertvolle Filmperle verbirgt.
.kinoticket-Empfehlung: Das Abseits von Narration und jeglichem menschlichen Einfluss bietet hier eine Harmonie an Bildern, Geräuschen und Erlebnissen, die einen schnell in ihren Bann ziehen und in einen völlig fremden Kosmos entführen – eine Welt, die quasi vor unseren Augen existiert und wohl kaum so liebevoll und umfänglich wahrgenommen wird – eine Perle, die sich anzusehen lohnt.
Nachspann: 🔘⚪️⚪️ | Hier werden alle Bewohner des Baumes und pflanzlichen Lebenwesen nochmal auf wunderschöne Weise portraitiert – also gerne Ruhe walten lassen beim Aufstehen und Rausgehen.
Kinostart: 09. März 2023
Original Title: Le Chêne
Length: 80 Min.
Rated: FSK 0
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