
Wenn man so viel im Kino schaut, wie ich, wählt man irgendwann im regulären Programm gar nichts mehr aus, sondern schaut nur noch, ob man das Plakat kennt (tat ich nicht) und geht dann einfach da rein, weil alles andere schon mal in der Presse vorab zu sehen war und momentan einfach zu viel Neuerscheinungen kommen, als dass man sich Filme mehrfach anschauen müsste.
Die Vorstellung war auch herrlich ausgebucht (wunderbar, ich mag es, auch immer wieder mit Publikum zu schauen und nicht nur in internen Kreisen) und hab mich einfach auf einen gemütlichen, privaten Abend gefreut.
Yoah. Die Vorstellung ging dann auch nicht, wie gewohnt, los, sondern es wurden erst Mikros installiert, umgestöpselt, hier und da noch was erledigt und irgendwas war „komisch“ bei der Sache… bis schlussendlich der Regisseur himself auf die Bühne kam und Erica Jong – Breaking the Wall persönlich in der Deutschlandpremiere vorstellte.
😀 Schon lustig, wie man es sich kaum aussucht und immer wieder von Events und Besonderheiten angezogen wird 🙂
Erica Jong ist ein Film, den er u.a. während dem Lockdown gedreht hat (was ihm seiner Aussage nach auch sehr in die Karten gespielt hat, da dadurch immens viel Zeit für Umstrukturierungen und Nacharbeit gegeben war, ohne dass jemand einem im Nacken saß) und der ihn persönlich bewegt, weil er die Bücher dieser Dame gelesen hatte und einfach ein Portrait dazu machen wollte.
Jong selbst war zuerst kritisch und konnte nicht glauben, dass wirklich jemand drehen möchte, empfand dann aber sehr viel Spaß und Freude dabei, ihre ganz persönliche Art preiszugeben und einfach ein wenig über das zu reden, was ihr wichtig ist.
Erica Jong – wer war bzw. ist das eigentlich? Ältere Semester mögen Sie in Erinnerung haben als Freiheitskämpferin für Frauenrechte, die auf Demos für Gleichberechtigung steht, sie selbst sieht sich allerdings auch in der Doku vielmehr als Buchautorin und Schriftstellerin, die Ideen zu Papier bringt, die wundersamerweise andere Menschen erreichen und berühren.
Diese völlig losgelöste Art und Freiheit, mit der sie sich in diesem Streifen gibt, war zugleich befreiend und erfrischend. Als jemand, der selbst auch viel mit Worten Umgang hat, kann und konnte ich extrem viele Situationen sehr gut nachvollziehen und es war eine wunderbare Bestätigung, zu wissen, dass es anderen Menschen gleich ergeht wie mir und das nicht irgendwelche absonderlichen Macken sind, mit denen man sich tagtäglich rumschlagen muss.
Das andere ist: Zu Beginn trieft der Streifen ein ganz klein wenig vor Staubtrockenheit und Irrlosigkeit, die der Regisseur aber direkt in den Film einflechtet und dadurch mit offenen Karten spielt. Ein kleiner mieser Beigeschmack macht sich für kurze Zeit breit, danach gewinnt das Werk aber so viel an Herzblut, Wärme und Seele, dass man kaum aufhören möchte mit schauen.
Es ist ein erstaunlicher Ritt durch die Zeit, der besonders die harten Veränderungen beleuchtet, die unsere Spezies im Laufe der Jahrzehnte so durchgemacht hat: Einerseits das wohl (hoffentlich) nie wiederkehrende leere New York zu Zeiten des Lockdowns, andererseits die „zurückgebliebenen Verhaltensweisen von Männern in der Öffentlichkeit“, die heute undenkbar wären und damals freizügig im TV ausgestrahlt wurden.
Es ist erstaunlich, wie akribisch Kasics hier in den Archiven gewühlt und die gealterte Jong live dazu befragt hat – und gleichermaßen erhellend, mit welch gleichberechtigter und friedfertiger Weise sie ihre heute bereits 4. Ehe führt.
Dadurch entsteht sehr viel Vertrauen, auch für Generationen, die nicht mit ihr aufgewachsen und quasi viel zu jung sind, um irgendwas von ihr gelesen zu haben, bei dem man sieht, dass sie privat genau das lebt, wovon sie als Ikone predigt.
Sie hat die Dinge verstanden und damals schon ins Rollen gebracht, die heute immer noch nicht vollendet sind und an denen sich unsere Generationen immer noch abarbeiten.
Für mich ein Grund mehr, der dieser Dokumentation Relevanz zuschreibt und auch von jüngerem Publikum durchaus gesehen werden darf: Es geht um die Kernelemente dessen, wofür ihr heute eure Stimme erhebt.
Aktuelle Kinotermine und Sonderveranstaltungen mit Regisseur Kaspar Kasics könnt ihr übrigens folgender Website entnehmen: Erica Jong auf riseandshine-cinema.de
.kinoticket-Empfehlung: Ein wunderbar herzliches, wärmendes, privates Portrait einer Frau, die ihrerseits viel Öffentlichkeitsarbeit für weibliche Interessen geleistet hat und in dieser Doku auch selbst ein Stück auf ihr Leben zurückblickt. Die Themen darin haben bis heute kein Stück an Relevanz verloren.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Hier folgt nichts weiter, rausgehen erlaubt!
Kinostart: 23. März 2023
Original Title: Erica Jong – Breaking the Wall
Length: 96 Min.
Rated: FSK 0
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