

Erinnert ihr euch an den Hilferuf der Frauen im Iran? Hier hab ich darüber berichtet und ich möchte den Film heute dazu nutzen, um auf etwas weiteres aufmerksam zu machen, das viele gar nicht wissen.
Schaut es euch an. Selten gab es einen wichtigeren Film in unserer Zeit als diesen. Wer einen „Spielfilm“ (das basiert leider auf wahren Begebenheiten und ist daher vielmehr eine Dokumentation als ein Film) für den Beitrag von Joko & Klaas braucht, hier ist er.
Vergebt, wenn meine Sprache zu diesen Themen nicht so ist, wie sie sein sollte, wenn meine Ansichten dazu falsch aufgefasst werden oder sind und ich nicht die Fülle all dessen begriffen habe, um was es hier geht: Ich bin ein Kerl, ich hab schlichtweg keine Ahnung.
Und ich meine das völlig non-sarkastisch, sondern zutiefst ehrlich und von Herzen: Es tut mir leid! Stellvertretend für mein ganzes Geschlecht und all jene, die meinen, sich moralisch über andere erheben zu können: Bitte vergebt uns! Es ist unfassbar, wie mit Frauen und anderen Geschlechtern umgegangen wird und gleichermaßen bezeichnend, wie Holy Spider das intoniert. Ali Abbasi ist zwar in Teheran geboren, hat allerdings in Dänemark studiert und lebt in Schweden. Er kennt daher beide Welten – die östliche, aber eben auch die westliche Kultur – und ist somit prädestiniert dafür, solch ein Thema auf die Leinwand zu bringen.
Die Presse redet allernorts von „Horror“, „grausam“, „es ist schlimm, dass die Morde so exzessiv gezeigt werden“ – und ich dachte mir schon: Naja, dann siehst du halt, wie jemand „genüsslich“ ein paar Körper aufschlitzt und in den Gedärmen buddelt und viel Blut und so… kommst du schon irgendwie klar mit.
Falsch.
Es ist kein Horror in dem Sinne, wie man denkt, sondern der Horror ist ein ganz anderer: Nämlich – Was ist denn bitte die Stellung der Frau in solchen Ländern?
Der Film führt dich dahin, dass es gar nicht nur um diese Frage geht, sondern darum: Was ist die Stellung der Frau in solchen Kulturen? Wie wird denn bitteschön mit Menschen umgegangen, nur weil sie kein männliches Geschlecht haben?
Ich bin als Kind in der Schule mit einem Perser befreundet gewesen und war oft bei ihm zu Hause. Sein Vater war meistens nicht da, also waren wir umgeben von dessen Mutter und seinen drei Schwestern – und dort war ich zum Teil schon geschockt, wie demütig, unterwürfig und fügsam die Damen all das hingenommen haben, was so passiert ist. Ali (so hieß er) meinte zu mir immer: „Das ist normal in unserer Kultur, da brauchst du dir keine Gedanken machen“.
Mach ich aber. Bis heute. Und es schockt mich immer mehr, was da alles im Verborgenen geschieht.
Menschen berichten darüber, wie im Berufsleben mit Frauen umgegangen wird, welche Affronts sie tagtäglich aushalten müssen, wie sexuell und herabwürdigend, belästigend und schlimm sie behandelt werden – und uns Männern wird dies nur dann bewusst, wenn man unter der E-Mail den falschen Footer stehen hat und der Kunde glaubt, er spricht mit der Frau statt mit dem Mann?
Ich habe mich durch meine Schreiberei und das ganze Gender-/Gleichberechtigungs-Ding nun schon länger und etwas intensiver mit dem Thema auseinander gesetzt und bin immer schockierter, was mir Frauen (gleich welchen Alters) darüber alles erzählen.
Ganz ehrlich: Wir freuen uns grade alle darüber, dass überall Strom gespart, Denkmäler nachts nicht mehr angeleuchtet werden und man „sinnvoll was fürs Klima tut“. Hat einer von euch mal darüber nachgedacht, das damit der safe-space für Frauen zum Heimlaufen nachts auf der Landkarte der eigenen Stadt extrem schrumpft und sie zum Teil mit Panikattacken zu kämpfen haben, weil sie Schiss haben, angequatscht und belästigt zu werden?
Ganz ehrlich: Mir stehen erwachsene (!) Frauen gegenüber, denen ich das erzähle, deren Gesichtsausdruck sich wandelt und die pure Angst aus ihren Augen tritt, während sie nicken und gedankenverloren „Oh ja!“ sagen! LEUTE?
Erwachsene, allein lebende Frauen erzählen mir, dass sie von einem fremden, männlichen Nachbar geschlagen wurden, weil sie erwähnt haben, dass dieser die Fenster im Hausflur nachts nicht auf machen soll, um Schimmelbildung zu vermeiden und der Kerl einfach zugeschlagen hat, nur weil sie eine Frau ist? Und obwohl die Polizei da war, wird nichts getan. Hier in Deutschland.
Es gibt regelrechte Informationsaustausch-Foren darüber, wie man sich als Frau / „Nicht-Mann“ verhalten kann, um nicht angesprochen zu werden, um so etwas zu vermeiden – und es empfiehlt sich für jeden, da mal reinzuschauen um festzustellen, was eigentlich für alltäglicher Horror existiert – und zwar mitten unter uns – LEUTE?
Warum redet darüber keiner? Warum spricht keiner darüber, dass hier – in Deutschland (!) – unfassbar viele Frauen das gleiche Problem haben: Nicht respektiert zu werden und von den Männern als „Fickstück“ gedemütigt und nur als solches gesehen werden? Warum gibt es keinen öffentlichen Diskurs darüber, dass so etwas existiert, wie das aussieht und welche Konsequenzen in unserer Gesellschaft gezogen werden müssen, damit so etwas verhindert wird?
Was bitteschön ist los? Wir haben 2023 und es ist selbst in Deutschland ein Problem, dass ein ganzes Geschlecht nicht einfach frei und sorglos durch die Gegend laufen kann, egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit, und um wie vieles mehr ist es dann schlimm in Kulturen und Ländern wie dem Iran, wo die Frauen um eben jene Rechte kämpfen? Ist euch klar, worum es dort im Moment gerade geht?
Das macht es alles noch viel schlimmer! Und ich bin mir sicher, dass genau diese Dinge hier in Deutschland hinter verschlossenen Türen genauso noch stattfinden. Nach draußen integrierte Kultur, Deutschland, wir sind hier und Teil von all dem, und wenn die Tür zu geht und man „unter sich“ ist, findet genau das auch hier statt.
Warum gibt es Worte wie „Kopftuchdebatte“, wenn allen westlichen Individuen klar wäre, dass diese systematische Unterdrückung eines ganzen Geschlechts Unrecht ist? Warum diskutieren wir über sowas und räumen diese Missstände nicht einfach aus dem Weg, indem wir tolerieren, fördern und unterstützen, dass sich wirklich JEDER frei bewegen kann?
Dieser Film findet genau die richtigen Fäden, um einfühlsam (was für ein Wort in dem Zusammenhang… ich weiß, aber mir fehlt wirklich die Sprache, um zu beschreiben, was in mir vorgeht) zu beschreiben, worum es hier geht. Dieser Film handelt nicht von dies oder das, sondern zeigt so offenkundig, wie diese Kulturen funktionieren, ohne sie dabei mit den Füßen zu treten: Er ist einfach nur offen und ehrlich und wertet dabei nicht. Er zeigt stets beide Seiten und macht damit offenbar. Er nimmt dem Zuschauer nicht sein eigenes Denkvermögen, sondern hält ihn dazu an, sich selbst ein Bild von der Situation zu machen und die Dinge zu verstehen … und zwar „von innen heraus“ und nicht als Außenstehender, der keine Ahnung hat.
Und damit ist der Film ein wertvolles Werk, das zur Friedensbildung beiträgt und dabei helfen kann, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, indem es einem endlich mal vor Augen führt, wie mit solcherlei Dingen umgegangen wird und was da eigentlich alltäglich passiert.
Geht bitte ins Kino – nicht, um den Director reich zu machen oder sonstwas, sondern um zu verstehen, dass es Schrecken inmitten unter uns gibt, die wir erkennen und beseitigen müssen – um Gleichberechtigung für alle herstellen zu können – DAS ist es, worum es wirklich gehen sollte, wenn darüber die Rede ist. Genau das!
Damit ein angstfreies Leben von allen ermöglicht wird, egal, welches Geschlecht. Egal, welche Geschichte. Egal, welche Lebenseinstellung. Egal, unter welchen Konsequenzen und Umständen man an dem Punkt im Leben gelandet ist, wo man grade steht. Das ist Respekt. Eigentlich sollten wir nicht über „Gender“ oder „Gleichberechtigung“, „woke“ etc. diskutieren, sondern darüber, wie man respektvoll zueinander ist.
Ich habe schon öfters erwähnt, dass die ganze Bewegung irgendwann mal falsch abgebogen ist: Hier ist der Film, der alles wieder zurechtrückt und an der richtigen Stelle wieder einsteigt: DAS … Genau das ist es, worum es geht: Die Stellung der Frau innerhalb einer Gesellschaft (ganz gleich, welchen Landes). Chancengleichheit. Respekt. Würde. Auf Augenhöhe miteinander sein.
Der Film zeigt euch, was momentan da ist, und er zeigt genauso, wie so etwas entsteht: Die Geburt einer Hölle. Die Entstehung einer bösen Idee, eines Geistes, der uns vergiftet. Ich finde, hier hat man alles richtig gemacht.
Und an der Stelle auch meinen tiefen Respekt an arte und ZDF, die das produziert und somit in großen Teilen mitgetragen und verantwortet haben: Ich weiß, wir haben kein gutes Verhältnis zueinander und sprechen oft unterschiedliche Sprachen – aber genau so etwas ist wichtig, publik zu machen, damit immer mehr Menschen es verstehen und erkennen. Danke, dass ihr diese Arbeit geleistet habt.
.kinoticket-Empfehlung: Der Schock etabliert sich auf einer Ebene, die man nie erwartet hätte: Es ist weniger (optisch) grausam, als vielmehr eine Erkenntnis, in welcher Gesellschaft wir groß werden, ohne zu merken, wie mit den Menschen nebenan umgegangen wird und was diejenigen, die täglich an unserer Seite sind, eigentlich wirklich durchstehen müssen. Ein Weckruf, ein Leuchtfeuer, worum es beim Thema „Gleichstellung“ eigentlich gehen sollte.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Die Aussagen sind hart genug, hier braucht ihr nichts weiter.
Kinostart: 12. Januar 2023
Original Title: Holy Spider
Length: 119 Min.
Rated: FSK 16
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