
Und kaum, dass man für Religion ein paar positive Worte übrig hatte, kommen wir auch schon wieder zu den Schattenseiten dieses Daseins: Christliches Gedankengut und Handlungsweisen.
Um mal eins klarzustellen: Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen ihre Religion ausüben und für sich in Anspruch nehmen, es als Hilfe, Stütze, Lebensinhalt oder was weiß ich hernehmen, so lange damit andere nicht gefährdet oder beeinflusst werden und es in einem ethischen und moralisch vertretbaren Rahmen vonstatten geht … und der ist höchst eng bemessen.
I Still Believe legt sich als Werk vollständig in diese christliche Wiege und macht auch keinen Hehl darum, was für Außenstehende dazu führt, dass man sich nicht zwingend dem Glauben zugewandt sieht, sondern eher argwöhnische Gefühle hegt, weil man als „Normalo“ eben nicht versteht, warum gewisse Handlungen oder Einstellungen so vollzogen werden.
Das schreckt in erster Linie halt erstmal ab, was – im Sinne der Christlichkeit – ja eigentlich genau das Gegenteil dessen ist, das man erreichen möchte, und schürt weiter das Unbehagen, das ich im Verlauf meiner Lebenskarriere mit diesem „Glauben“ gemacht habe.
Und diese Momente waren bereits im Trailer zu sehen und haben mir schon von vornherein gezeigt: Du kriegst wieder etwas zum Verreißen.
Und dann erschien John Debney auf der Bildfläche und mein Verriss liegt auf einmal im Grab…
Ja, ich hatte Gänsehaut, fast schon unfreiwillig. Der Plot ist so arg, kitschig, vorhersehbar, triefend, natüüüüüüürlich müssen sie, und natüüüüüüüürlich hat er usw. – es ist von Anfang an logisch, was passieren wird, es ist vorhersehbar und erzählerisch lahmarschig, aber die Musik ist dermaßen gut inszeniert, dass ich hier leider keinen Verriss bringen kann.
Auch die Schauspieler – K. J. Apa in allen Ehren – dringen nicht in der Form zu mir durch, wie sie sollten, sondern wirken gekünstelt und unecht, eben genau die Erfahrungen, die ich kirchlicherseits kenne und von denen ich seitdem möglichst viel Abstand nehme. Dieses „erbärmliche Lächeln“, der „unerschütterliche Glaube“, das weltfremde, irrationale Schönreden von Katastrophen, das Sich-selbst-belügen, dass in diesen Kreisen so herrlich dramatisch präsent ist, durchzieht auch diesen Film.
Und John Debney, einer der großen Soundtrack-Majestäten, der genau weiß, was er zu tun hat und der dieses Werk auf eine kultivierte Ebene hievt, von der man eigentlich nur träumen kann … und Gänsehaut kriegt. Immer wieder.
Also geht rein, zieht euch die Musik durchs Gemüt … und vergesst dabei den Plot.
Soundtrack und Score sind erhaben, Erzählung, Glaube und Plot unterste Würde – und beides gemeinsam keine Ahnung… ruft Gänsehaut hervor und gruselt gleichermaßen. Geht trotzdem rein.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Wer in einen musikalischen Film geht, sollte auch immer bis zum Schluss sitzen bleiben, Szenen folgen jedoch keine weiter.
Kinostart: 13. August 2020
Original Title: I Still Believe
Length: 115 Min.
Rated: FSK 6
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