
So, räumen wir gleich zu Beginn mal mit dem Vorurteil auf, die Welt hätte vor Netflix nicht existiert: Ja, die Allgegenwärtigkeit des neuen Kinokonkurrenten war zu den Academy Awards 2023 deutlich spürbar und man hat gemerkt, dass frischer Wind in eine Branche weht und man sich jetzt auch in den klassischen Studios wieder beginnen muss, anzustrengen, wenn man in Zukunft noch mitspielen will.
Aussagen, wie „Das ist die erste Verfilmung und nicht etwa ein Remake“ sind so aber nicht ganz richtig: Ganz neu aus dem Boden gestampft wurde hier auch nicht wirklich etwas… und dazu werfe ich jetzt mal ein paar Facts in den Raum.
1928 – Erich Maria Remarque – Romanautor von Im Westen nichts Neues.
1930 – Lewis Milestone – verfilmte das Werk als eines der 100 besten amerikanischen Filme. Carl Laemmle und Lewis Milestone erhielten dafür jeweils einen Oscar.
1979 – Delbert Mann – rekonzipierte das Werk fürs Fernsehen als amerikanisch-britische Neuverfilmung und erhielt dafür einen Golden Globe.
2021 – Edward Berger – Neuverfilmung von Im Westen nichts Neues – welche diesjährig erstmalig mit 4 Oscars ausgezeichnet wurde und damit Filmgeschichte schrieb, insgesamt 9 Nominierungen einheimste und u.a. als bester ausländischer Film von der Academy ausgezeichnet wurde.
Was passiert also, wenn man deutsche Kreativität mal nicht durch den Filmförderungs-Anstalten-Sender-und-ich-will-auch-noch-was-dazu-beisteuern-und-meine-Macht-ausspielen-Automaten durchfleischwolft?
Genau das: Es hagelt Oscars vom Allerfeinsten, es werden Rekorde aufgestellt, die ganze Welt feiert uns deswegen ab und die einzigen, die darüber bisschen abkotzen, sind: Die konsequent miesgelaunten Deutschen, die eine Sache nicht beherrschen: Sich einfach mal grundlos über etwas zu freuen.
Was ist hier also richtig gelaufen?
Netflix ist bekannt dafür, dass es als Geldgeber relativ potent dasteht, die Kohle auf den Tisch wirft und quasi sagt: „Mach mal… wir messen dich anschließend an deinem Erfolg.“
So ein Satz würde einem Filmförderungsanstaltsfuzzi wohl kaum über die Lippen springen, weil hier wieder der verbohrte, bürokratische Apparat an Rechtfertigung und Sündenbock-Suche hinten dran hängt, wenn etwas mal nicht so hinhauen sollte, wie man es eingangs gerne hätte.
Also entscheidet sich der deutsche Kulturförderer lieber dazu: „Nö, wir machen das, wo wir ungefähr wissen, was am Ende dabei raus kommt und neue Ideen? Baaah!“
Und genau das passiert seit Jahrzehnten in der deutschen Kulturlandschaft: Es sind die immergleichen, unaufgeregten, nicht herausragenden Allerweltslangweilereien, die groß angekündigt über die Bildschirme flimmern und im Endeffekt keinen Nachhall hinterlassen, sondern genauso unaufgeregt wie unspannend sind und halt einfach ihr Ding machen und aus.
Mal etwas zu riskieren, wo man evtl. Geld verbrennen könne: Uhhhhhhhh.
Und jetzt kommt Netflix als amerikanisches Pendant „deutscher Filmförderung“, stellt wesentlich weniger Hürden auf und sagt: „Was braucht ihr? Hier bitte … und dann bitteschön abliefern.“ und die Kulturschaffenden können arbeiten und ihr Ding machen. Wenns mehr kostet – kein Ding, dann kriegt ihr eben mehr, hauptsache, das Ergebnis stimmt hinterher.
Nun saß ich also als Momentan-nicht-Netflix-Abonnent im Kino und dachte mir: Großer Film, große Leinwand, holen wir das mal ganz schnell nach.
KABOUM!
First: Ich kann nicht verstehen, warum man darüber labert, man könne es nicht ertragen, könne es nicht am Stück schauen, kann sich das nur einmal anschauen und dann nicht mehr, weil es wirklich so grausam und unerträglich ist… (oder ich bin einfach schon zu viel gewöhnt) – im Gegenteil: Es tat soooooo gut, zu sehen: Yo – wir können Kino! Wir können wirklich was. Deutschland kann sich auf der Leinwand behaupten und wird direkt auch in aller Welt anerkannt und von der prominentesten Filmjury überhaupt mit Preisen überhäuft!
Ich empfehle tatsächlich auch: Schaut das Ding nicht auf Netflix, sondern sucht ein Kino auf – die Urgewalten der Zerstörung und des aufkeimenden Wahnsinns kommen hier wirklich stimmungsmäßig dermaßen an und erzeugen eine knisternd-explosive Atmosphäre, die sich im Kinosaal recht schnell ausbreitet und selbst die letzten, nörgelnden Grummler zum Schweigen und Staunen bringt.
Und im Film selbst hat man dann wiederum schauspielerisch alles richtig gemacht: Man ist sich nicht zu fein dafür, einfach alles im Dreck enden zu lassen, man springt über den Zenit der dichterisch-denkenden Sprachelite und redet anständigt, man lässt seinen Gefühlen freien Lauf und darf wahnsinnig werden und erzeugt somit ein dermaßen realistisches Bild menschlicher Verkommenheit und devastatischer Zerstörung, die vor dem Zerbruch des Geistes keinen Halt macht, sondern schlussendlich dem Wahnsinn auflauert und ihn an die Oberfläche lässt.
Ich verstehe, warum man den Film mit Oscars auszeichnen muss: Er ist einfach verdammt gut. Die Arbeiten sind vor und hinter der Kamera einfach einzigartig und es werden Szenen erzeugt, die ich mir ehrlich gesagt schon seit ich denken kann wünsche und bisher eben immer nur im potent-dekadenten Hollywood erlebt habe, weil sich der Deutsche zu fein dafür war, seine Hände schmutzig zu machen.
Was tut es gut, zu sehen, wie die Jungs der Reihe nach durchdrehen und mit welch leidenschaftlicher Hingabe und demütiger Devotheit der Kinokultur gegenüber hier selbst wieder Geschichte geschrieben wird: Wow – genau DAS meine Freunde, ist Unterhaltung.
Ich schreibe bewusst Unterhaltung und nicht „geschichtlich korrektes, historisches Literaturstudium“, weil ich auch nicht nachvollziehen kann, dass sich Filmkritiker darüber beschweren, dass hier „Dinge dazu gedichtet werden“ oder „so keinen Sinn ergeben“ – fuck you. Daran sieht man mal wieder: Die „Zeitungen“ sind voll von Nichtskönnern, die irgendwann im Leben mal falsch abgebogen sind und sich jetzt als „Kinoexperten“ feiern lassen, während sie eigentlich überhaupt keine Ahnung davon haben, was wahre Gefühle sind und dass es Menschen gibt, die genau so etwas gerne mal ausleben möchten.
Ich will jetzt nicht schon wieder „Feuilleton-Elite-Wichser“ schreiben, aber ihr wisst, was ich meine. Die diesjährigen Academy Awards haben gezeigt, dass die allgemeine deutsche Kritikerszene genauso verbohrt ist wie der bürokratische Apparat der ARD und dass es manchmal durchaus erfrischend sein kann, wenn Hierarchien relativ niedrig sind und man Menschen einfach mal machen lässt, ohne sich vorher schon kapitalistisch zu Boden zu würgen.
Dann klappt’s auch mit dem Erfolg – und dank der Oscars sind die Filme jetzt auch wieder in den Kinos – also geht rein und feiert es: 2022 war sowieso ein unfassbar starkes Jahr, was Kinoproduktionen angeht und auch bei der Verleihung war irgendwie alles genau so, wie man es sich gewünscht hat: Es wurden die richtigen Titel ausgezeichnet, alle waren stark, man hätte manche Oscars einfach in 5 Teile teilen und jeden damit auszeichen müssen und es wurde überall die Botschaft von Liebe und Menschlichkeit verbreitet: Insgesamt eine wahnsinnig gelungene Veranstaltung, die die richtigen Filme wieder an die Oberfläche getrieben hat und eine Botschaft universell versendete: GEHT – INS – KINO!
.kinoticket-Empfehlung: Man nehme den deutschen Bürokratismus, die krankhaft ängstliche Einstellung neuen Ideen gegenüber, das verbohrt-undurchsichtige Direktionsgeflecht deutscher Kulturförderer-Anstalten und die konservative Angst, Geld zu verlieren aus der Rechnung raus und übrig bleibt kreative Leidenschaft und ungehemmtes Kinoglück: Es hagelt Auszeichnungen und Preise und nach meinem Kinobesuch kann ich sagen: Zu Recht! Also geht rein! (Ins Kino, nicht in euren Netflix-Account!)
Nachspann: 🔘⚪️⚪️ | Texttafeln abwarten, danach folgt nichts weiter.
Kinostart: 29. September 2022
Original Title: Im Westen nichts Neues
Length: 148 Min.
Rated: FSK 16
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