
Brandon Cronenberg – der Sohn von David Cronenberg, welcher kürzlich mit Crimes of the Future von sich Reden machte, tritt inzwischen in die Fußstapfen seines Vaters und bringt seinen nächsten Kinohit auf die Leinwand, bei dem es einmal mehr um Metaebenen geht, die das normale Publikum kaum zu verstehen weiß.
Ich habe den Film inzwischen zwei Mal gesehen – einmal im Original ohne vorherige Einflüsse, und einmal im Rahmen der Sneak Preview auf deutsch. Mein Unterhaltungsanspruch sank nach den ersten 10 Minuten Einführung, nach denen klar war, mit was wir es hier zu tun bekommen und ich habe alsbald damit angefangen, die versteckten Hinweise zu suchen und zu finden.
Sind wir ehrlich: Man wird im Laufe der Zeit mit dem Zaunpfahl erschlagen und anschließend mit einem Fußtritt direkt drauf gestoßen – es ist nicht all zu schwer, da zu erkennen, was hier dargestellt wird.
Dennoch fand ich interessant, dass gerade das eigentlich für alles offen zu sein scheinende Publikum der Sneak hier gänzlich andere Anforderungen stellt.
„Wo sind wir hier nur rein geraten?“ „Boah nee, du bist so dumm.“ „Alter, echt?“ – um nur ein paar Reaktionen zu nennen. Der Anspruch auf Unterhaltung und einen funktionierenden Plot war bis zur letzten Minute omnipräsent – und gleichermaßen für mich völlig unverständlich.
Cronenberg braucht irgendwas, damit seine Thesen funktionieren. Er braucht einen Rahmen, damit man weiß, wo das Bild anfängt und wo es aufhört .. dass so ein „Plot“ quasi keiner ist … für mich zumindest logisch. Also suche ich gar nicht erst nach Logikfehlern oder bewerte die Handlungen nach normalen Ansprüchen. Er zeichnet Bilder von Geisteszuständen. Er malt über Männlichkeit, fehlende Männlichkeit, Substitution. Und das im kleinen Rahmen wieder und wieder.
So wie das Bild der Charaktere im Film hässlich und abstoßend ist (gewollt – in diesem Sinne also positiv assoziiert), so werden auch die Metaphern immer hässlicher und abgenutzter, bis sie am Ende sogar stumpf und unbrauchbar erscheinen. Spätestens da hätte meiner Meinung nach auch der letzte verstehen müssen, dass es hier nicht um Plot geht, sondern um eben jene Metaphern.
Lässt man sich nämlich auf dieses Spiel ein, hat man direkt interessanten Diskussionsstoff, der zu regem Weiterspinnen und Nachdenken anregt und grundlegende Fragen zur physischen und psychischen Konstitution von uns Menschen stellt. Und damit ist das ganz und gar keine „verschwendete Lebenszeit“, die manch anderer Kritiker dem Film attestieren möchte, sondern durchaus spannend.
Spannend ist übrigens auch der Fakt, dasss in Deutschland die Uncut/Unrated-Fassung im Kino gezeigt wird, während umgekehrt mal in den USA mit Freigabeproblemen gekämpft werden musste und wir in diesem Fall mal auf der spendablen Seite des Teiches stehen und nicht – wie üblich – das Nachsehen haben.
Ebenso spannend sind weitere Realitäten rund um den Film, die vielleicht nicht direkt ins Auge stechen – zum Beispiel Hässlichkeit. Wir als Publikum sind seit Jahren dahingehend verwöhnt, immer nach Ästhetik, Schönheit, Liebe und Harmonie zu trachten und erwarten es überall und immerzu. Und werden auch immer wieder mal mehr mal weniger damit befriedigt. Cronenberg stimmt hier völlig andere Töne an und zeichnet ein Portrait auf die Leinwand, das vor Hässlichkeit nur so trieft und eben nicht nur in Sachen „Body“, „CGI“ und meintwegen auch „Verhalten“ hässlich ist, sondern eben auch im Lichtsetting, der Kulisse, allem anderen drumrum. Wirklich der ganze Film ist gewollt hässlich, er fängt schon mit hässlichen Szenen an, wirkt kalt, bieder, uneinladend und künstlich – und vereint damit all die Faktoren, die man im Ausland im Urlaub gerne vergessen möchte, weil man merkt, dass man auf irgendwelche chinesischen Billigfakes reingefallen ist.
Die Eier zu haben und sowas durchzuziehen und damit dann durch die Festivals zu touren gehört eigentlich bereits belohnt – und das ist in meinen Augen auch kein „Nicht Können“, sondern gewollt und Teil seiner Aussage, die dahingehend wahr ist, als dass wir Menschen tatsächlich auch in unserer Realität momentan vor Hässlichkeit triefen, was unser Verhalten, unser Bestreben und unser Handeln angeht (Krieg, Umweltverschmutzung, Kriminalität, Ausnutzung, soziale Zustände, Bildungszustände, usw.) – insofern ist all das auch wiederum nur als „Spiegel der Realität“ zu betrachten ….
Ihr merkt? Man kann den Film auf vielen verschiedenen Meta-Ebenen diskutieren – und dafür muss man ihn gesehen haben.
Also ab ins Kino. Und nein – auch dann ist der Film keine Unterhaltung, sondern reine Metapher. Deal with it.
.kinoticket-Empfehlung: Der Plot ist keiner, sondern reiht eine Metapher nach der anderen in vielen Metaebenen aneinander. Lässt man sich darauf ein und akzeptiert, dass hier keine „Geschichte“ erzählt wird, sondern es um Charakterzustände und Männlichkeit (bzw. fehlende Männlichkeit) geht, wird die Sache richtig vielschichtig und spannend.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Braucht man nicht abzuwarten, hier folgt nichts weiter.
Kinostart: 20. April 2023
Original Title: Infinity Pool
Length: 119 Min.
Rated: FSK 18
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