
Was haben wir es noch gefeiert, als die ersten Displays in Filmen Einzug hielten und wir uns als „moderne Generation“ endlich auf der Leinwand wahrgenommen fühlten… Inzwischen hat sich so vieles verändert. Der Smombie ist allgegenwärtig und Begriffe wie „onlinesüchtig“ gelten schon fast wieder als veraltet – wie sollte man seinen Kindern auch vorwerfen, sie seien zu häufig am Handy, wenn man selbst kaum noch etwas anderes tut, als zu daddeln.
Inzwischen haben die technologischen Enthüllungsparties die großen Rock-Konzerte abgelöst und die Menschen strömen scharenweise vor die Bildschirme, um die neuesten Tech-Gadgets und Smartphone-Innovationen zu feiern. Tech-Giganten wie Tim Cook, Brian Page oder Mark Zuckerberg sind die Götter der heutigen Generationen, wenn sie ihre neuesten Produkte lobpreisen und als perfektes Entertaining inszenieren.
Und es funktioniert. Wir alle kaufen es, benutzen es, lieben es … und brauchen es. Inzwischen werden die Stimmen der Oldschool-Revolutionäre immer leiser, die O-Töne des „brauch ich nicht, lebe weiterhin analog“ treten mehr in den Hintergrund und mein Smartphone scheppert immer häufiger mit Anfragen, ob ich beim Einrichten des neuen Phones oder dieses oder jenes Progrämmchens behilflich sein könnte. Aus „So einen Scheiß mach ich nicht mit“ wurde ein „Wie funktioniert das? Kannst du mir das erklären?“
Und noch etwas hat sich langsam in unsere Gegenwart transformiert: Die digitale Technologie hat den Bildschirm verlassen und die echte Welt zu erobern begonnen. Längst begrenzen wir unser technisches Verständnis nicht mehr nur auf „innerhalb des Monitors“, sondern greifen zu mehr: Internet of things, Smartwatches, intelligente Dingens hier, Augmented Reality dort … immer mehr Bereiche unsres täglichen Sichtfeldes werden vom digitalen Wahnsinn eingenommen und kontrolliert.
Ron läuft schief ist der perfekte Film dazu, der dieses Thema knallhart aufgreift und hier ganz klare Kritik dazu äußert, auch wenn die nicht konsequent zu Ende geführt wird. Man kommt zumindest mal wieder ins Straucheln, driftet zum Überlegen und denkt vielleicht mal drüber nach, was inzwischen alles passiert ist – und beschäftigt sich ganz kurz damit.
Umhüllt wird der bunte Reigen von unzähligen Anspielungen auf besagte Tech-Master und Korrelationen zu bekannten Filmen, die das Mensch-Gadget-Vereinen bereits wunderbar umgesetzt haben (und im Übrigen meine allererste Kritik im Blog darstellten): Baymax.
Der Streifen trief vor Niedlichkeit, wunderbaren Ideen und technologischer Innovation und vergisst dabei niemals das Empfinden des Einzelnen, der sich im Strudel der technologischen Entwicklung längst nicht mehr als Hauptcharakter abfeiert, sondern allenfalls als notwendiges Übel, um die große Maschinerie zu speisen und nicht vollends abgehängt zu werden.
Es werden Probleme verschiedenster Art angerissen, psychologische Tiefen angedeutet und offenbart, dass sich der Mensch dem Matrixschen Kampf gegen die Maschinen längst unterworfen hat und nun mehr um seine eigene Bedeutung feilscht, die im Zuge von big data und den Machenschaften einiger weniger unterzugehen scheint.
Die dabei vielzitierten Argumente finden hierbei ebenso ihren Platz, wie das berechtigte Hinterfragen nach Alternativen: Der Film ist ein Paukenschlag für die längst überfällige Diskussion um den Umgang mit Medien, dem Rausch, dem digitalen Überfluss, der über uns allen ausgekippt wurde und mit dem niemand zurecht zu kommen scheint.
Und das soll Lektüre für die Allerkleinsten sein?
Jawohl! Neben Argumenten für die Technologie werden im Film genügend Ansätze geliefert, die als Elternteil aufgegriffen werden können, um den kommenden Generationen einen selbstbewussten Umgang damit zu lehren. Begrifflichkeiten wie Cybermobbing werden thematisiert und erklärbar gemacht – sowohl für Betroffene als auch für Verursacher. Das Teil liefert genügend Ansätze, um seinen erzieherischen Pflichten nachzukommen, führt diese aber nicht zu Ende.
Hier könnte man meinen, dass die Aufgabe der Wertevermittlung ja auch nicht zwingend im Kino stattfinden sollte, sondern vielmehr ins familiäre Elternhaus gehört, allerdings ist bei dem Faktor „Mensch“ in der gesamten Gleichung aktuell noch das größte Nachholbedürfnis zu verspüren, speziell bei denen, die eben jene Werte vermitteln sollten.
Insofern gehört ein Film wie dieser auf die Leinwände – und zu gegebener Zeit dann auch auf Disney+, damit sich Familien dessen annehmen und anfangen, darüber zu sprechen. Anders können wir diesen Krieg nicht mehr gewinnen.
.kinoticket-Empfehlung: Auf vielen Meta-Ebenen ein gelungenes Stück digitale Kritik, die allerdings nicht zu Ende geführt wird, sondern sich im zweiten Teil des Films eher mit sich selbst auseinandersetzt, statt die Dinge zu lösen: Hier sollten nachführende Gespräche ans Kinoticket geknüpft werden. Ganz nebenbei kann man dabei einen wunderbaren Film genießen, der vor Herzlichkeit und warmer Emotion nur so sprüht – ein definitives „Sehenswert“ meinerseits.
Nachspann: 🔘🔘🔘 | Anfangs noch extrem gut gearbeitet, später dann mit kleineren Animations-Gimmicks versehen, diese kann man aber durchaus auch gerne noch mitnehmen.
Kinostart: 28. Oktober 2021
Original Title: Ron’s Gone Wrong
Length: 107 Min.
Rated: FSK 6
Auch interessant für dich
Living – Einmal wirklich leben
Beau is Afraid
Sisu