
„Fuuuurchtbar! Schau dir den bitte an, denn mich interessiert, was du darüber denkst.“
Zitat einer Kollegin aus dem Pressemilieu, die die Vorstellung besucht hatte, zu der ich keine Zeit hatte. Macht mich neugierig, und ganz ehrlich: ich fand den Trailer auch schon gar nicht sooo übel. Kann den Ekel vor diesem Film also nicht ganz nachvollziehen.
Ok, Christian Petzold ist für mich auch kein Garant für absolut uneingeschränkte Liebe, immerhin sind seine vergangenen Filme auch alle mit einem gewissen Merkwürdigkeitsfaktor versehen gewesen und auch ich kam mit seiner Erzählperspektive und seiner Art von „Übernatürlichkeit“ nicht so richtig klar.
Tatsache ist: er beschäftigt sich immer wieder mit Geistwesen, Elementen und mythologischen Bezügen, aber eben auf eine sehr deutsche und „DDR-angestaubte“ Weise, gegen die ich grundsätzlich schon mal was habe.
Das „Zurückgebliebene“ in der Zeit war in In den Gängen sicherlich sehr reizvoll und thematisch gut angesetzt, allerdings wünsche ich mir bei Mythologie und Mystik dann doch eher das blockbusteraffine Amerikanische mit dem gewissen Rumms und hollywoodösem Kapitalismus-Boost, um wahrhaftigen Spaß vor der Leinwand zu haben. Das Abfeiern von altdeutschen Mythen in Sepia-Schwarz-Weiß ist in meinen Augen eher erbärmlich.
Ihr seht meine Angst? Mystisch war bei mir vor allen Dingen die Anziehungskraft auf diesen Film, ich habe regelrecht nach freier Zeit gegeiert, um ihn mir endlich ansehen zu können und hatte wirklich wirklich Bock drauf – notfalls, um wieder einen Verriss schreiben zu können.
Und der kommt … nicht. 😳
Petzold hat meiner Meinung nach den besten seiner Filme abgeliefert und den Vibe seiner eigenen Stimme gefunden. Der Film ist von Anfang an mega unterhaltsam, niemals langweilig und feiert sich selbst mit immer wieder überlagernden Momenten, in denen Unausgesprochenes durch Mimik und Schauspiel perfektioniert wird. Allen voran hier Thomas Schubert, der mit einem Frotzcharme der Oberklasse punktet und sich direkt von der ersten Minute an ins Herz der Zuschauer spielt.
Ihn begleiten im Laufe der Zeit immer mehr Charaktere, denen man allesamt ihre Glaubwürdigkeit abnimmt und die ein wunderbar harmonisierendes Ensemble abgeben, das sich gekonnt in die Fasern des Films eingräbt und mit ihnen verschmilzt.
Die Aussagen, die Petzold hier machen will, kommen an, ohne doofdeutsch kommuniziert werden zu müssen und die seelische Verzweiflung und psychologische Aufarbeitung von mehrdimensionalen Problemen ist derart intelligent gelöst, dass ich mich schon fast nicht mehr traue, von deutschem Kino zu sprechen, weil jeder hier weiß, was ich normalerweise damit in Verbindung bringe.
Ganz ehrlich: Mich hat der Film gekriegt. Und zwar volle Breitseite. So sehr, dass ich schaue, ob und wie ich ihn zeitlich nochmal auf der großen Leinwand bestaunen kann und spätestens nach Verfügbarkeit landet er in meiner Sammlung.
Neben den durchaus tragischen Momenten enthält er durch die Bank weg extrem viel Leichtigkeit, schafft mit viel Situationskomik immer wieder Freiräume für situative Entspannung und sorgt auch beim Publikum für Heiterkeit und ausreichend Lacher. Kurzum: Petzold schafft, dass man sich in Gegenwart seines Films als Zuschauer extrem unterhalten und einfach gut fühlt. Und ich wüsste nicht, womit ich dieses Werk jetzt vergleichen sollte, denn irgendwie gibt‘s keine Pendants dafür – also tut euch den Gefallen und hört nicht darauf, wenn euch jemand sagt: „Fuuuuurchtbar.“ Diese Aussage stimmt nämlich schlicht und ergreifend gar nicht.
.kinoticket-Empfehlung: Der mit Abstand beste Film, den Petzold je hervorgebracht hat. Teil zwei seiner Elementar-Trilogie punktet mit subtiler Heiterkeit und einem absolut fähigen Schauspiel-Ensemble, das vor Charme und Sympathie nur so überquillt. Dieser Film ist eine wunderbare Kino-Erfahrung, die man sich unter keinen Umständen entgehen lassen sollte.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Braucht man nicht abwarten, hier folgt nichts weiter.
Kinostart: 20. April 2023
Original Title: Roter Himmel
Length: 102 Min.
Rated: FSK 12
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