Juni 8, 2023

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Sick of Myself

Sick of Myself - Filmplakat
© 2023 MFA+ FilmDistribution

Der nächste Film, der wunderbar in unsere Zeit passt: Sick of Myself handelt von der unbändigen Gier nach Aufmerksamkeit, Likes, Followern, Beachtung, im Mittelpunkt stehen, berühmt sein, auf der Bühne der ganzen Welt hohes Ansehen genießen, schocken, medial auftrumpfen… eben all das, was sich im Vergleich zur vorherigen Generation geändert hat.

Die dörfische Vergangenheit ist passé, das Streben nach persönlicher Zufriedenheit und Glück, die Freude an den kleinen Dingen des Lebens ist nichts mehr, was heutige Generationen gelehrt bekommen. Ganz im Gegenteil: Für den Ruhm auf Instagram findet selbst im Babyalter schon Humilitation statt und Eltern führen ihre Brut vor aller Welt vor und zeigen sie, schicken ihre Kinder zu The Voice Kids und peinigen sie durch alle möglichen, grausamen Szenarien – alles im Namen von Ruhm, Erfolg und „Ehre“.

Das Wörtchen „zweifelhaft“ käme hier keinem in den Sinn, es ist doch toll, wenn man viele Follower hat, niemand verzieht auch nur eine Miene, wenn jemand darüber spricht, dass er über Nacht zum Star geworden ist und alle werden dafür unterstützt, geliebt, geliked und schon findet die absurde Jagd nach Aufmerksamkeit im Namen von Individualität statt, die zeitgleich in einer Gleichschalte sondersgleichen stattfindet, die niemandem aufzufallen scheint: Immerhin heißen die Kanäle ja alle anders.

Dass es irgendwann niemanden mehr zu interessieren scheint, wenn das 1 trilliardste Müslibowl-Frühstück über 24 Minuten zelebriert wird (immerhin braucht es ausreichend Viewtime, um Werbung schalten und damit Geld verdienen zu können!), führt halt dazu, dass sich die gepeinigten Opfer, die auf einmal im Zugzwang sind, neues einfallen lassen müssen, um irgendwie wieder Relevanz zu erzeugen.

Es ist eine Hatz nach unaufhörbarer Gier nach Aufmerksamkeit und „shocking moments“, um ja keine Follower zu verlieren und mit immer krasserem Content zu punkten.

Und dann? Sterben reihenweise die Kids weg, weil sie beim Selfie-Schießen alles um sich herum zugunsten der perfekten Optik vergessen und reihenweise die Klippen runterstürzen, von Hochhäusern fallen, mit Fallschirmen und Flugzeugen abstürzen, in Autounfälle verwickelt sind usw. – und unsere Generation feiert weiter wie wild die Gier nach Aufmerksamkeit und Ruhm. Nächstes Showtalent incoming und alle schalten ein… wir preisen und loben diese Form des Daseins und überlegen schon mal nach einem passenden Namen für das ungeborene Kind, das bereits Blog, Insta-Kanal und Twitteraccount hat, bevor es überhaupt den ersten Atemzug getan hat.

Kristoffer Borgli denkt diesen Wahnsinn in Sick of Myself zu Ende und führt ad absurdum, was längst „Normalität“ geworden ist. Er zeichnet diese Gleichung auf die Leinwand und rechnet sie bis zum bitteren Schluss aus.

Was dann raus kommt, ist gleichermaßen schockierend wie provokativ und leider halt auch schon längst keine Dystopie mehr, sondern bittere Wirklichkeit.

Schüler heulen auf TikTok über verranzte Haarschnitte, weinen bittere Tränen wegen verhunzten Tattoos, kleistern sich die Haare zu und müssen notoperiert werden … was ist schon alles für ein Schwachsinn passiert, der ohne soziale Medien wohl nie entstanden wäre.

So geil es damals war, sich zu vernetzen, „alte Freunde wieder zu treffen“ (und keiner gefragt hat, warum man sich aus den Augen verloren hat und dass das vielleicht sogar gut so war), so bitter kämpfen heute verzweifelt Abhängige mit irgendwelchen Methoden darum, von diesem sozialen Medien-Wahnsinn wieder loszukommen und geißeln sich mit allen möglichen Methoden, um die Sucht irgendwie wieder in den Griff zu kriegen.

Darüber gesprochen oder es als ernsthafte Krankheit angesprochen und in Schulen gelehrt wird kaum. Wie mit dem Rauchen: „Och, das haben wir doch mit 14 auch alle schon längst hinter uns gehabt.“

Frage: Warum müssen wir unsere Nachkommen erst durch die Hölle der Abhängigkeit schicken und können nicht vorher schon anfangen, wenigstens darüber zu reden und die Gefahren davon ehrlich auf den Tisch packen?

Sick of Myself tut genau das – er kotzt all die Brutalität auf den Tisch und hechelt damit selbst ein wenig nach Aufmerksamkeit, indem er zeigt, wie perfide und krank das gesamte System inzwischen geworden ist.

Die Elite fühlt sich leicht angewidert, kommt aber nicht umhin, irgendwo einzugestehen, dass der Film damit leider viele Wahrheiten beim Namen nennt und ich persönlich wünsche mir einfach, dass dieser Film zur sozialen Referenz mutiert und in Schulen thematisiert wird, um ein wieder gesünderes Verhältnis zu Aufmersamkeitsgeilheitsflut zu bekommen.

.kinoticket-Empfehlung: Krass ehrliche Abrechnung mit einem System, bei dem der Mensch partout nur verliert: Sick of Myself legt alles offen auf den Tisch und denkt den heutigen Wahnsinn gnadenlos zu Ende. Großartig!

Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Braucht man nicht abzuwarten, hier folgt dann nichts weiter.

Kinostart: 23. März 2023

Original Title: Syk Pike
Length: 95 Min.
Rated: FSK 12

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