
Da hetze ich kürzlich noch über die Constantin Film und rede darüber, in welcher Bubble sie sich befinden und dass alles, was da produziert wird, irgendwie dermaßen realitätsfremd ist und einfach nur über demokratische Toleranz seine Existenzberechtigung aufweist – und schwupps, kommen die Herren und Damen mit Sonne und Beton ums Eck und beweisen: Wir können auch anders.
Zeit, mich zu entschuldigen und zu sagen: Okay, auch ich muss lernen, meine Verallgemeinerungen in den Griff zu kriegen und meine üblen Vorurteile auf Fakten zu basieren, denn: Was ich ihnen vorgeworfen habe, stimmt nicht – ich hab es am eigenen Leib erfahren.
Ich sitze gemütlich in Sonne und Beton in der Sneak Preview und höre mir dabei noch Stories an, wie schlecht der Film in der Presse war und dass alles so ruckelt und zuckelt und keinen Erzählfluss hat und denke mir: Na, mal sehen… Der Abend fängt ja schon gut an, wenn beim Filmeraten genau dieser Film auf der Top 1 der „Den will ich definitiv nicht sehen“-Liste meiner Begleitungen auftaucht, dann kann’s ja eigentlich nur besser werden.
Yoah. Was mir dann begegnet ist, ist einfach mal 1:1 das, was ich in meiner Kindheit auch kannte: Ja, auch ich bin in Berlin zur Schule gegangen, ja, ich habe dort gelebt, ja, ich kenne viele Bezirke und Bereiche, weil ich auch damals schon mein „Weg hier – da vorne ist der Horizont“-Gen am Start hatte und selbst für Berliner Innenstadtverhältnisse extrem weit gereist bin – und ja, ich kenne es, wenn Nazi-Banden auf einen los gehen, weil man als Goth-Boy durch die Berliner Straßen bei Nacht streunt und einen Punker-Gruppen erkennen und verteidigen und es zu Straßenkämpfen kommt.
Ich habe erlebt, wie in meiner Umgebung Leute erschossen wurden, ich habe erlebt, was es bedeutet, ein Leben im Hausbesetzer-Milieu zu führen, ich kenne all die Vorurteile, die mir von Nicht-Berlinern entgegengeschleudert wurden und habe mich damals in diese Stadt verliebt. Es hat mich literweise Tränen gekostet, als meine Unterschlupf-Firma ihre Außenstelle dichtgemacht und mich damit meinem jugendlichen Paradies entrissen und in die Hölle geschickt hat.
Und wenn man jetzt einfach mal darüber nachdenkt, was Constantin in der Vergangenheit so verzapft hat – und wie – und dann überlegt, dass man ein mega authentisches Bild dieser zerrütteten Straßenverhältnisse zum Besten geben möchte … ja, dann zieht sich in einem erstmal alles zusammen, oder?
Der wohl wegweisende, maßgebliche Einfluss, der hier hinter dem Erfolg steht, ist Felix Lobrecht. Der hat das Buch geschrieben. Der hat dort gewohnt. Der ist dort aufgewachsen und der hat selbst gesagt: „Ich konnte […] viele Szenen im Buch nur deshalb so schreiben, dass sie später funktionierten, weil ich Bilder vor Augen hatte. Offenkundig kenne ich die Gegend gut, in der das Buch spielt, und ich habe beim Schreiben immer genau die Orte gesehen.“
Und er hat gesagt: „Viele Sachen, die im Buch vorkommen und nun auch im Film passieren, habe ich eins zu eins selbst erlebt. Genauso viele Sachen sind aber auch frei erfunden. Ich habe immer offengelassen, was wahr ist und was nicht. Dabei belasse ich es auch.“
Und genau das spürt man: Sonne und Beton prügelt einem mit faustdicker Härte die Echtheit hinter die Augen und ist einfach so, wie im Film gezeigt. Manche sagen, es handelt sich um eine Art „Sozialporno“, denn „sowas kann doch nicht echt sein“ – und ich denke mir: Ähm, wenn ich in meinen Jahren zurückschaue und mir dann überlege, was ich erlebt habe, dann … ist das leider echt.
Ihr kennt dieses Gebahren, wenn ältere Anzugherren aus elitärem Hause sich irgendwelche Jugendsprachworte von anno dazumal auf ihre Papyrus-Seiten kritzeln, es dann „Drehbuch“ nennen und der Meinung sind, sie hätten genau den Zeitgeist getroffen und wären „nah am sozialen Brennpunkt“?
Dieser Hass, der dabei in mir aufkeimt, ist kaum zähmbar, so sehr verabscheue ich diese Art von öffentlich-rechtlicher Überheblichkeit, die auf so dermaßen übermäßiger Unwissenheit fußt, dass einem nur schlecht werden kann. Genau so einen Stuss hätte ich erwartet … und das Gegenteil wurde geliefert.
Auch bei den Publikumsreaktionen merkt man: Diese realistische Echtheit kommt an. Es wird gelobt, dass es endlich mal einen „Isch ficke deine Mudder“-Film gibt, bei dem man den Jugendlichen diese Sprache abkauft – denn genau so wird gesprochen und genau das ist der Slang – und auch der Cast bringt das unglaublich gut rüber.
Es ist kein Behelf, es ist kein „Du machst das jetzt bitte mal so, ansonsten filmen wir es nochmal, bis es genau so ist, wie wir uns vorstellen, dass es echt ist“, sondern es fühlt sich an, als wäre jemand damals einfach dabei gewesen und man hätte später Bildmaterial gefunden, das die damalige Zeit wiedergibt.
Dazu kommt ein unfassbar guter Soundtrack, das ins Abendsonnenlicht getauchte Berlin, welches die Härte von Schönheit und Beton tatsächlich auch im Farbspektrum wiedergibt und damit tatsächlich eine Art „Milieustudie“ ist, die in eben jene Sphären eintaucht und tief blicken lässt.
Wenn man sich jetzt die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit vor Augen führt, in der diese Kinder aufwachsen (und Lobrecht auch aufgewachsen ist), und sich dann überlegt, dass dieser Typ studiert und sich quasi auch aus dem Sumpf rausgefuchst hat, dann darf man das hier gerne als Schablone begreifen, die einem offenbart, warum Teile unserer Gesellschaft so sind, wie sie sind – inkl. Ursachenforschung.
Dieser „Sozialporno“ tut einfach mal unglaublich gut, wächst einem mit fortschreitender Laufzeit immer näher ans Herz und wärmt gewissermaßen, obgleich die Härte niemals aufhört. Also auch beim Titel: Ins Schwarze getroffen.
Wie richtig kann man also eine Sache machen? Constantin Film: Ja.
Mir fiele nichts ein, was ich anders gemacht hätte und ich feiere es, dass man so ein Werk releast und damit allgemein zur „Schuldebatte“ beiträgt, denn dieses Thema wird in den kommenden Jahren wohl immer wichtiger – oder anders gesagt: Nicht-mehr-Schüler-Einflussreiche täten gut daran, sich diese Thematik näher zu beleuchten – und dieser Film ist ein wunderbarer Anfang dafür.
Es geht hier nicht um Mitleid oder blablabla, um Tränendrüsen und „Och kuckt mal, wie schlecht wir es haben und wie gut es dir geht, spende doch mal oder sowas“… im Gegenteil. Es geht darum, dass alle anderen diesen einen Satz verstehen: „So ist die Straße. Da drin leben die kommenden Generationen. So wachsen diejenigen auf, die in 10 Jahren Politik machen, wählen gehen, Steuern zahlen, die Welt gestalten.“ Die Grundlagen werden in diesen Jahren gelegt – und das, was sicherlich keiner so wirklich wusste, weil es im Dunst der Vorurteile und des Unwissens schlichtweg untergeht, beleuchtet dieser Film in herrlichen Farben, mit wunderbarer Musik und… mit überwältigender Ehrlichkeit und Wahrheit.
DANKE!
.kinoticket-Empfehlung: Selten ist ein Film über ein Milieu, welches in cineastischer Weise schon seit Jahrhunderten unter Klischees leidet, so authentisch und naturgetreu nachgezeichnet worden. Die Glaubhaftigkeit durchzieht so ziemlich alles, was existiert: Darsteller, Musik, Gegend, Geschehnisse – und diese Ehrlichkeit kommt auch beim Publikum fantastisch an. Definitiv anschauen: Ein Film, der sich extrem lohnt!
Nachspann: 🔘🔘🔘 | Hier darf man ruhig die durchaus gelungenen Songs noch mitnehmen, bevor man wieder in seine Welt entfleucht.
Kinostart: 02. März 2023
Original Title: Sonne und Beton
Length: 119 Min.
Rated: FSK 12
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