
Jüngst gab es ja hitzige Diskussionen darüber, dass ein weiblicher Bond her soll und die Fangemeinde war gespalten: Die einen sagen „Auf jeden Fall, denn die Frauen sind in Hollywood immer noch unterrepräsentiert“, die anderen sagen „Auf gar keinen Fall, die sollen ihr eigenes Ding machen und einfach eigene Rollen erfinden, in denen Frauen stark repräsentiert werden.“
Boum – da wäre ein Film, der genau dies zum Anlass hatte: The 355. Dieser Code ist sogar geschichtsträchtig, denn bis heute ist die entsprechende Agentin mit dieser Nummer noch nicht „revealed“, das Versteckspiel hat also extrem gut funktioniert und es ist ein Kniefall vor ihrer Leistung, wer immer sie war.
Gleichzeitig begibt man sich ins Agentengenre und pufft eben nicht an die Männerdomäne und heult rum, dass da eher Frauen besetzt werden sollen, sondern man schafft etwas eigenes und führt gleich fünf Charaktere ein, mit denen man in Zukunft arbeiten möchte – jede mit ihrer eigenen Geschichte.
Hierfür hat man auch gleich fünf starke Persönlichkeiten auf die Leinwand gebracht: Diane Kruger, Penélope Cruz, Jessica Chastain, Lupita Nyong’o und Bingbing Fan – alles herausragende Schauspielerinnen mit zahlreichen Nominierungen und Auszeichnungen bis hoch zur Königsklasse der Preise: Den Oscars.
Yo, was kann da jetzt noch schief gehen? Der Plot? Selbst der birgt eine sinnige Idee, die im „Agentenmovie-Style“ ausgeschlachtet wird und hier und da über die Spitzen der Realität ebbt, genau wie wir das auch aus Bond und Bourne-Filmen bereits kennen.
Warum zündet The 355 dann trotzdem nicht? Meine Meinung? Weil die Männer auf Biegen und Brechen versuchen, die Frauen mies dastehen zu lassen, getreu dem Motto: „Seht ihr, die können’s eben nicht, darum müssen wir in Zukunft wieder Männer besetzen.“
Und wisst ihr was? Falsch! Derjenige (ja, es ist ein Mann!), der hier Scheiße gebaut hat, ist der Kameramann Tim Maurice-Jones. Denn immer, wenn Action ins Spiel kommen soll, wird man absolut fahrig und wackelt mit der Kamera rum, als hätten die Frauen keine Talente, um selbst etwas Drive und Actionstunts abliefern zu können.
Besieht man sich so manches Bonusmaterial, merkt man schnell, dass die Damen hervorragende Schauspielarbeit leisten und sich sehr wohl präsentieren können – und dabei noch verdammt gut aussehen. Man nimmt sie als Agentinnen sehr wohl ernst – und der Kameramann macht mit seinem unsinnigen Kameragewackle dann alles wieder kaputt.
Und kaum sind wieder Männer im Bild, gleitet die Kamera sehnsüchtig nach faszinierenden Bildern heischend in wohliger Ruhe und Gelassenheit durch den Saal und gibt den Männern genügend Zeit, sich zu präsentieren. Kommt die Frau? Zack zack, wackel wackel, Schnitt Schnitt, völlige Überdrehtheit und zwar so übertrieben, dass man sich unterschwellig als Kinozuschauer total abgehängt und mies fühlt – was der normale Zuschauer wohl kaum direkt der technischen Mache zuordnen wird und darum eher sagt: „Mäh, der war irgendwie komisch.“
Und somit ist das ein untertouriger Schlag in die Fresse aller weiblichen Darstellerinnen, die eigentlich total klasse Arbeit leisten, von den Männern aber vorgeführt werden und einmal mehr als Flop an den Kinokassen landen.
Shame on you!
Dazu kommen im weiteren Verlauf dann noch einige plottechnische Patzer, die ebenfalls wieder nicht den Damen zugeordnet werden können, sondern Regisseur und Drehbuch-Autor Simon Kinberg so abgesegnet und ins Finale geschickt hat (Jason Bourne hätte mit dem Hammer auf das Ding draufgeschlagen und es nicht irgendwelchen Heinis in die Hände gelegt, denen er sowieso nicht vertraut!) und damit feiern sich jetzt wieder irgendwelche „rassistischen Kotzbrocken“ im Hinterstübchen, dass den Damen einmal mehr kein guter Film gelungen ist und es niemandem so richtig auffällt.
Ganz ehrlich: Es kotzt mich an! Ihr habt so fähige Schauspielerinnen, ihr habt so tolle Talente und ihr hättet es so gut in Szene setzen und den Damen endlich geben können, was ihnen seit langem zusteht, und patzt es dann so vor die Kloschüssel und lasst es im Kino floppen. Genau dafür hasst man uns Männer – und das zu Recht!
.kinoticket-Empfehlung: Absolut fähige Schauspielerinnen in einem Film, in dem die Männer sie vorführen und unterschwellig verarschen: Das hätte ein richtig geiler Agentenmovie sein können, wenn man den Damen einfach ihr Talent zugestanden und sie machen lassen hätte.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Liefert keine weiteren Szenen, rausgehen ist also erlaubt.
Kinostart: 06. Januar 2022
Original Title: The 355
Length: 123 Min.
Rated: FSK 16
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