
Mein Gefühl: Bei diesem Titel sollte man vorher ein wenig inneren Hausputz durchführen, um nicht mit falschen Erwartungen da ran zu gehen, die zwangsweise in Enttäuschung münden. Und ich möchte mich nun mal daran versuchen.
Vorab: Ich hab einen kleinen Bruder, der inzwischen viele Jahre Berufssoldat ist – und bin daher ein wenig mit den Machenschaften der Army vertraut und über ihn auch ein wenig über das amerikanische Army-Gedankengut im Bilde. Meine Mum ist damals in Tränen ausgebrochen, als sie von seinen Zeitsoldat-Plänen erfahren hat und ich dachte mir: Genau das richtige für diesen Kerl, denn die Army wird ihn hinbiegen und aus ihm einen ehrenwerten Menschen machen.
Genau das ist auch passiert. Es gibt also Gründe, in die Army zu gehen und seinen „Lifestyle“ (wenn man so will) danach auszurichten – und gerade in amerikanischen Kreisen ist dieses patriotische Gedankengut ja weit verbreitet. Dass nicht die Amis die Bescheuerten, sondern wir in unserem Denken als Nation rückständig sind, erleben wir alle gerade leibhaftig am Beispiel des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine.
Nun darf man an dieser Stelle nicht den Fehler machen und den Film gleichsetzen mit Werken wie z.B. 13 Hours – The Soldiers of Benghazi oder Green Zone, in denen die ganze Zeit uniformierte Ranger durch die Felde ziehen und ihr Armee-Zeugs veranstalten. The Contractor heißt nicht „The Militarian – Dem Tod auf der Spur“, sondern eben „Der Auftragnehmer“ bzw. „Der Unternehmer“ – daran merkt man gleich, dass es hier um eine andere Linie geht, als so manch einer anfänglich vermutet.
Wenn man sich das Plakat jetzt auch nochmal eine Sekunde länger ansieht und den sich aufdrängenden Chris Pine ausblendet, sieht man auch: Es spielt in Berlin – und eben nicht im patriotischen Amerika.
Hier fängt es nämlich wirklich an, spannend zu werden. Nahezu jeden Schauplatz, der im Film auftaucht, kenne ich selbst aus Kindertagen, denn ich bin dort zum Teil aufgewachsen und habe die schönste Zeit meiner Kindheit in dieser Stadt vergeuden dürfen 🙂 Es wird sehr schnell klar, dass es vielmehr um psychologische Aufarbeitungsleistung und weniger um die Army als solches geht.
Plot und „dieses Genre“ haben sich schon immer schlecht verstanden, auch hier darf man gerne ein wenig Vorleistungs-Toleranz mitbringen, was den Machern aber unglaublich gut gelungen ist: Dieses dreckige Umfeld in einen galanten „film noir“ umzuwandeln, der eher mit Max Payne vergleichbar wäre und sich dadurch als stilisierter Agententhriller entpuppt und dabei erstaunlich überdurchschnittlich und gelungen ist.
Die Location-Scouts haben wirklich erstklassige Arbeit geleistet und sich hier die exakt richtigen Ecken dieser Stadt ausgesucht, um die Story in das passende Umfeld zu packen und den Handlungsstrang mit den richtigen Hintergrundbildern zu versehen. Auch kann ich mir vorstellen, dass amerikanisches Volk viel mehr mit dem Film wird anfangen können, weil sie das Thema mit den psychologischen Nachwehen eines Krieges viel tagesaktueller und „normaler“ auf dem Brett haben, da Amerika im Gegensatz zu Deutschland eine ganz andere Haltung zu militärischen Handlungen hat und als „Weltpolizei“ auch anders dazu stehen sollte als wir. Und wenn man dann Affinitäten zum Bund und dieser Lebensform hat, sich mit dem Thema hier und da mal auseinandersetzen musste oder eben einfach einen super gut gemachten Film Noir genießen möchte, dann ist The Contractor genau das richtige, um den Abend perfekt zu machen.
.kinoticket-Empfehlung: Punktet mit einem unglaublich gut in Szene gesetzten Berlin, einem überdurchschnittlich gut spielenden Chris Pine und ist viel weniger Soldier-Movie als vielmehr ein film noir, den man sich ohne große Plotansprüche durchaus ansehen und genießen kann.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Hier folgt nichts weiter, man braucht also nicht abwarten, sondern kann den Saal getrost verlassen.
Kinostart: 14. April 2022
Original Title: The Contractor
Length: 103 Min.
Rated: FSK 16
Auch interessant für dich
Living – Einmal wirklich leben
Beau is Afraid
Sisu