
Dieser Streifen wurde im Vorfeld zum Fantasy Film Fest bereits kräftig gehyped und auch die Kritiker fanden allerorts unglaublich positives Feedback dazu … und ich muss sagen: Catched me.
Es gibt viel zu reden – nicht nur über diese Themen, sondern auch über den Tellerrand hinaus.
Betrachten wir das Ding erstmal einfach nur als Film – also als ein Stück, welches sich Zuschauer genüsslich mit Popcorn im Rachen von der Leinwand ins Gehirn prägen und sich dabei bestenfalls top unterhalten lassen. Hier weht auf einmal ein so dermaßen neuer Wind, dass sich die Enten am Teich neue Flügel wachsen lassen müssen, weil’s die alten einfach weg-orkant. Es dauert keine zwei Sekunden, und du hast den ersten Schlag in die Plot-Fresse, weil du, wenn du dich auf diese Erzähl-Reise begibst, sofort in Beschlag genommen und durchgeschüttelt wirst.
Ganz ehrlich: Mir gingen fast minütlich komplett gegensätzliche Gedanken durch den Schädel, die Vorurteilsmaschinerie wurde angeschmissen, ständig um 180° gedreht und auf einmal ist das Teil halt einfach was völlig anderes, als du in deinen 13809 Meinungen innerhalb der ersten 10 Minuten hattest.
Groooooßartig – Unterhaltung unter diesen Prämissen gab es … noch nie?
Es wurde inzwischen viel geschrieben über „Horror“ (was den Regisseur unfassbar freut, weil er es eigentlich gar nicht so angedacht hatte und im Film tatsächlich auch komplett ohne den Schwurbelmist auskommt, den schlechte Horrorfilme permanent im Gepäck haben), über „Superhelden“ (auch hier: Krass, wie man sich so ausgefuchst an dieses Genre annähernd möchte, es aber irgendwie nicht erreicht, wenn man drüber nachdenkt, aber doch … whoah – so liebe ich Kino!), dann hatten wir letztens ein Offenbarungswerk über Autismus, was uns Fremdlingen dieser Gegebenheit einen völlig neuen, und vor allem verständlichen Einblick in das Leben als Autist gegeben hat – und genau so etwas ist das hier quasi mit der „Welt der Kinder“.
Die Idee von Eskil Vogt entsprang ihm, als er seine Kinder von der Schule abholen wollte und sie ihn auf dem Schulhof nicht bemerkt haben, er aber festgestellt hat, dass ihr Verhalten ein gänzlich anderes ist, als das, wenn sie sich von Erwachsenen beobachtet fühlen.
Und was daraus dann entstanden ist, bufft dich einfach komplett vom Sessel!
Ich hatte das Gefühl, alle Regler, die es an einem Film einzustellen gibt, waren genau perfekt an der richtigen Stelle – es wurde nichts getan, das den Zuschauer irgendwie vor den Kopf stoßen könnte, es gab keine dämlichen Twists, kein dummes Rumgemache, keine blöde Wicca- oder Indianerfriedhofauflösung oder den ganzen langweiligen Bullshit, den wir seit gefühlt 2000 Leben vom Kino als „Horror“ verkauft kriegen und der einfach nur fucking langweilt.
Warum das so gut funktioniert? Weil die Kinder so unfassbar gut schauspielern!
Diese Ehrlichkeit, die man als Zuschauer vom Film entgegen geschleudert kriegt, hat man auf dem Set genauso gelebt. Man hat den Darstellern erzählt, warum sie was machen müssen – man hat sie aufgeklärt, man hat alle Fragen offen und ehrlich beantwortet und jeden Schritt mit den Eltern besprochen und absegnen lassen … und ihr merkt schon, dass sich das so bisschen nach „Soooooorrrryyyyy“ anhört … und mich eben etwas über den Tellerrand hinausbringt:
Es sind Kinderdarsteller.
Wir haben inzwischen viele Filme gesehen, in denen irgendein Drehbuch geschrieben, die Professionalität zugunsten der Kleinen gecuttet und alles anschließend als billiges Dreckswerk auf der Leinwand verhökert wurde. Eines hatten diese Filme alle gemeinsam: Die Kinder durften quasi sie selbst sein und man hat sie dabei einfach nur aufgenommen. „Tu mal so, als ob du dich freust“ und egal, wie schlecht es geschauspielert war, man hat’s halt fürs Endergebnis coloriert und halbwegs hingeschnitten und gut war die Sause.
Hier? Leider Gottes ist dies einer der Punkte, warum der Film soooo gut funktioniert: Die Kinder schauspielern – und zwar höchst professionell. Sie spielen nicht sich selbst, sondern lassen sich auf ihnen vorgegebene Ereignisse ein, die zwar schon ein wenig in ihre Richtung geschrieben wurden, aber eben quasi als Schauspielarbeit gesehen werden müssen – und das auf einem Niveau, was selbst alte Hollywood-Hasen nicht so stark rüber bringen.
Diese Höchstleistungen, die den Kindern da abverlangt wurde, sollte man einmal außerhalb des Films betrachten. Klar, der würde vom Inhalt nicht funktionieren, wenn Jugendliche oder halbe Erwachsene das spielen würden … insofern okay … aber: Was ist mit der Tatsache, dass wir inzwischen Kleinkinder als professionelle Unterhaltungsdarsteller verwursten und sie in die Entertainment-Industrie ballern? Was macht das mit den jungen Menschen, die schon so früh mit Ruhm, Öffentlichkeit, Presse, Premieren etc. umgehen müssen und die in so jungen Jahren lernen, wie man sich professionell verstellt?
Ich finde, das sind Dinge, über die man im Zusammenhang mit diesem Film genauso öffentlich diskutieren muss – und das wäre in meinen Augen auch der einzige Kritikpunkt (der deswegen nicht weniger schwerwiegend ist), der dem ansonsten eigentlich makellosen Meisterwerk im Wege steht.
Also kann man quasi zweigleisig urteilen: Filmisch ist das Teil kaum zu überbieten und bringt endlich wieder mal etwas in dieses so untergegangene Genre, das den Zeitgeist trifft, modern ist und nach inzwischen gefühlt vier verstorbenen Generationen ein Film-Urgestein zum Leben erweckt und so richtig richtig richtig gut auf die Leinwand bringt. Andererseits setzt es aber die Latte an Notwendigkeiten zur Befriedigung der Massen extrem weit runter was Alter betrifft und fordert hier von Kindern etwas, das eben nicht mehr natürlich ist und einfach nur festgehalten wird, sondern weit darüber hinaus geht.
.kinoticket-Empfehlung: Als Film: Krass gut – endlich mal kein Schlag in die Fresse oder Dummverkaufen vom Zuschauer! Selten hab ich einen in allen Ebenen so gelungenen Film gesehen, der wirklich durch Mark und Bein geht. Darüber hinaus: Fragwürdig, wenn man inzwischen mit so jungen Darstellern und Darstellerinnen arbeitet, um das Publikum zu befrieden: Hier sollte man mal öffentlich drüber reden, wie das in Zukunft weiter gehen soll. Nichtsdestotrotz: Ihr verpasst etwas, wenn ihr diesen Film nicht gesehen habt!
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Sieht spannend aus, braucht aber nicht abgewartet zu werden.
Kinostart: 14. April 2022
Original Title: De uskyldige
Length: 117 Min.
Rated: FSK 16
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