
Es war einer der wenigen Filme, die mit dem Oscar ausgezeichnet wurden, bevor das deutsche Publikum die Chance hatte, ihn flächendeckend zu sehen. Das Urteil darüber, ob dieser Preis gerechtfertigt ist oder nicht, konnte also zum Zeitpunkt der Verleihung nicht gefällt werden – und man nahm es hin und setzte es sich eben auf seine Liste.
Eigentlich hätte ich längst darüber schreiben sollen. Eigentlich wären andere Filme genauso wichtig (geht bitte in Das Lehrerzimmer solange er läuft, Kritik folgt), eigentlich … hätte ich andere Launen oder Voraussetzungen haben sollen, um mit dem ganzen Scheiß hier weiter zu machen. Momentan … keine Ahnung – die Abgründe sind tief.
Vielleicht ist es deshalb eine Herzensentscheidung, heute diesen Film zu bringen und die Wahrheiten auszusprechen, die der Film nicht (direkt) sagt, sondern nur oberflächlich beleuchtet (was allen anderen Kritikern schon wieder sauer aufstößt).
Ist es so schlimm, mal nicht direkt zu sein, sondern nur etwas anzudeuten, weil es Personen betrifft, die so schwer von Situationen umgehauen werden, dass es zu viel wäre, wenn man darüber spricht? Die einfach nur verstanden werden wollen und fertig?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Gros des Millionenpublikums meine heutige Rezension eher kryptisch finden wird. Und wisst ihr was? Ist mir an dieser Stelle ein einziges Mal scheiß egal. Vielleicht gibt es da draußen die eine Seele, der es annähernd grad genauso geht wie mir und die es versteht, wenn es mal nicht direkt benannt wird, und sich einfach nur verstanden fühlt.
Das hier ist nur für dich: Du bist damit nicht allein, es geht anderen auch so und ich hab keine Ahnung, ob es jemals besser werden wird – das ist die Wahrheit. Ehrlichkeit ist das einzige, was ich dir bieten kann und ich weiß aus persönlicher Erfahrung, dass sie grade in so dunklen Situationen wie unserer extreme Stärken entwickelt, die einem vielleicht dabei helfen, die Dinge besser zu verarbeiten oder überhaupt einen Sinn geben, mit allem weiter zu machen.
Ich hab auch keine Kraft mehr dazu, ich kann auch nicht mehr. Ich fühl mich in die Ecke gedrängt, machtlos und unterworfen, gepeinigt, gedemütigt. Ich fühl mich den Peinigern machtlos ausgeliefert, während mit meiner gesundheitlichen Situation Ping Pong gespielt wird. Ich weiß nicht, was ich darüber denken soll, wenn ich vor Hunger von der medizinischen Wand meiner Erkrankung in die Ohnmacht gepusht werde, während andere mich als jemand hinstellen, der sich in den Arsch ficken lassen muss, um was zu Essen zu bekommen.
Ich kann mit den ganzen Gedanken nicht umgehen. Ich hasse diese sexistisch-rassistische Scheiße, den Schwulenhass, der mir im Alltag entgegengeschleudert wird. Ich hasse die Tatenlosigkeit der Welt, die drumherum ist und still dabei zuschaut, wie Menschen in den Tod getrieben werden. Ich hasse die Ohnmacht einer ganzen Gesellschaft, die nicht manns genug ist, gegen so etwas aufzustehen und eine Veränderung zu fordern und davon auszugehen, dass das nicht normal ist.
Ich fühl mich hilflos. Machtlos. Alternativlos. Verstoßen. Ungeliebt. Ich weiß nicht mehr weiter. Und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Das einzige, was ich gut kenne (und du sicherlich auch), ist das schäbige Klingeln mit einer verranzten Tonaufnahme auf dem Band eines Psychotherapeuten, der dir erklärt, dass in den nächsten Monaten keine freien Plätze sind, man aber dann und dann nochmal anrufen soll, um einen Vorstellungstermin auszumachen. Anrufbeantworter, die gar keine Möglichkeit bieten, etwas zu sagen, sondern ihre Ansage abspulen und direkt auflegen. Verstoßen vom Therapeuten – genau das braucht man in solchen Situationen am meisten.
Ich fühl mich kraftlos. Hab alles verloren, was einst wichtig, richtig und gut war. Meine Familie geht vor die Hunde. Meine Geschwister hassen sich, meine Eltern verlieren den Verstand und zerbrechen an ihren eigenen Problemen, während ich danebensteh und nichts tun kann.
Meine Mum driftet in hasserfüllte Welten der Zerstörung ab und denkt nur noch ans Sterben und den Tod. Mein Dad leidet darunter und wird von Dialyse und Vorwürfen zerfressen, flüchtet sich in die Einsamkeit und sieht genauso hilflos zu, wie alles den Bach runtergeht.
Mein Bruder, den ich über alles mag, geht nicht ans Telefon, wenn ich anrufe. Die Normalität ist weg. Ich ertrag das nicht mehr, weil Familie für mich immer das allergrößte gewesen ist. Ich bin die dumme Nudel, die im Jahr tausende von Euro in BahnCard 100 investiert, um alle immerzu zu besuchen – und neuerdings kriegt man Sprüche vor den Kopf, dass es gut ist, dass man sich nicht gesehen hat, weil alles viel zu viel geworden ist. Klasse.
Was mit einem selbst passiert, interessiert einen nicht. Warum auch. Jeder ist mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Reihenweise werfen sich die Leute vor die Züge, zermatschen ihre Körper und schicken ihre Seelen in den Tod. PU heißt das im Bahnsprech – Personenunfall. Bedeutet: unfassbar viel Verspätung, Hass, den die Bahn abkriegt, obwohl der/die Selbstmörder/in schuld ist, Diskussionen, dass man lieber mit dem Taschenmesser in den Wald gehen sollte…
Letztens hat sich vor meiner Haustür eine Frau aufs Bahngleis geschmissen und man hat stundenlang ihren Kopf gesucht. Ich denke seit Tagen darüber nach und kann mit niemandem drüber sprechen. Irgendwie bewundere ich sie für ihren Mut, diesen Schritt gegangen zu sein und denke mir immer: Sie hat’s hinter sich. Sie ist weg aus dieser hasserfüllten Welt, in der nur Elend den Tag dominiert.
Sie braucht sich nie wieder mit diesen stockkonservativen feigen Arschlöchern auseinandersetzen, die der Meinung sind, einfach tun und lassen zu können, was sie wollen. Sie selbst ist kein Opfer mehr, nur noch eine Erinnerung. Ich sehne mich danach, es ihr gleich zu tun. Momentan kämpfe ich extrem damit, mir nicht ein Messer in den Bauch zu rammen und allem ein Ende zu setzen und genauso leise abzutreten, wie ich auf diese Welt gekommen bin.
Für mich gab es immer diesen einen Satz: Leute, die sich etwas antun wollen, machen es einfach und reden nicht drüber. Wenn sie drüber reden, ist es ein Hilfeschrei, dann wollen sie sich eigentlich gar nichts antun, sondern nur gehört werden. Jemanden an ihrer Seite haben, der sie versteht.
Verstehen… dieses verdammte Wort, dessen Bedeutung keiner mehr kennt. Jeder spricht immer direkt rein, lässt einen nicht ausreden oder erzählen. Hört nicht zu. Kriegt die Sätze und Wörter gar nicht mit, die der andere sagt, sondern hat bereits eine Lösung ohne zu wissen, welches Problem überhaupt da ist.
Niemand sagt mehr: „Ich kann dich einfach gut verstehen.“ und belässt es dabei. Niemand sagt mehr: „Ich fühle mit dir.“ oder ist ehrlich – zu sich selbst und zu dir und sagt: „Ich hab absolut keine Vorstellung davon, was du gerade durchmachst und kann es mir schwer vorstellen, aber ich möchte nicht in deiner Haut stecken und bin froh darüber, dass es mir nicht so geht … umso mehr Respekt hab ich davor, dass du noch hier bist und weiter machst.“
Niemand sagt mehr: „Komm mal her“ und nimmt einen einfach mal in den Arm und lässt dieses warme Gefühl von Willkommensein, geliebt sein, sprechen – statt diese dummen Worte, mit denen sich die Menschen tagtäglich überall nur noch verletzen.
Sind es soziale Medien? Oder braucht man dafür einfach nur in ein Zugabteil zu gehen oder in der DB Lounge am Tresen stehen und zuhören um mitzukriegen, das alles nur hasszerfressen ist und die Basis des Lebens daraus besteht, dass Individuen mit nicht konformen Ansichten und Dingen das Leben zur Hölle gemacht werden kann, während die Welt drumherum steht und schweigend applaudiert und es einfach toleriert und zulässt?
Ihr Bastarde. Ihr verfluchten Bastarde.
Ihr habt so viel Schuld auf euch geladen und ich bete darum, dass es tatsächlich einen Gott gibt, der am Ende die finale Pauke anschlägt und abrechnet. Ich flehe darum, dass es ein „letztes Gericht“ gibt, wo aufgeräumt wird und jede einzelne verdammte Tat gesühnt werden muss. Ich wünsche mir, dass es eine Hölle gibt, in der diese Verbalschlächter eines Tages hineinverdammt werden und man sie pausenlos in den Arsch fickt und all das an ihnen vollzieht, was sie uns zu Lebzeiten vorgeworfen haben.
Du, der du da draußen bist und keine Hoffnung mehr siehst: Du bist nicht allein. Mir geht’s grad auch beschissen. Ich trau mich nicht mehr raus. Ich will nicht mehr in diese Welt und mich all den Anfeindungen stellen. Ich will nicht mehr in dieses Leben und jeden Tag nur mit Schwert und Sichel durch die Gegend metzeln, um irgendwie im Kampf der Aggressionen überleben zu können. Ich will einfach ein verdammtes Mal Frieden und Harmonie. Liebe und Angenommen sein.
Ich bin ein Kerl. Und hab all dieses Gefühle. Gefühle, die man nicht aussprechen darf, wenn man sein öffentliches Ansehen nicht verlieren will und als Schwächling verdammt wird.
„Ich hab auf dein Fahrrad mit schwarzem Edding einen Pimmel gemalt, damit alle Welt sieht, was für ein Arschficker du bist!“
Mir geht es auch so.
Fraser im Film hat auch seine Gründe, warum er sich in diese Höhle zurückgezogen hat – und ja, der Film spricht es nicht an. Du und ich wissen, was passiert sein muss, damit man zu so einer Person wie er im Film wird. Ich fühl mich dadurch weniger allein … und meine Person ist der lebende Beweis dafür, dass es nicht nur Filme sind, die so etwas verstehen und wiedergeben und es nicht jedesmal nur das verdammte Hollywood ist, das einen versteht und einem den Verständnisspiegel von der Leinwand aus runterhält.
Es gibt lebende Menschen, denen es genauso geht wie dir. Machen wir einen Deal und geben einfach nicht auf?
Ich weiß, dass der Preis dafür unbezahlbar ist. Ich weiß, dass niemand von uns genug Kohle in den psychologischen Taschen übrig hat, um diese Bürde zu stemmen. Wisst ihr, was uns groß macht? Dass wir jeden verdammten Tag wieder aufstehen und einfach weiter machen.
Ich werde weiter ins Kino gehen – heute Abend endlich dann mal in Guardians of the Galaxy Vol. 3. Ich werde mir einen schönen Abend machen und genießen, wenn mich im Kinosaal niemand denunziert. Ich werde mich damit abfinden, dass mir diese gesundheitliche Scheiße immer eine Wand ins Gesicht knallt, die dafür sorgt, dass ich im Alltag immer häufiger über dem Klo hänge und kotze, weil mein Fressen mit ganz normalen Dingen kontaminiert ist, die jeder andere Mensch verträgt. Und ich werde aushalten, dass andere sich darüber lustig machen und auf diesem Terrain ihr eigenes Ego polieren, indem sie mich in die Ohnmacht treiben, weil ihnen meine Gesundheit scheißegal ist und sie damit gegen ihr Berufsethos verstoßen.
Ich werde mich damit abfinden, dass ich zwar in diese Welt hineingeboren wurde, sie mich aber aus allen Poren hasst und mir das auch tagtäglich ins Gesicht wirft.
Ich werde versuchen, zu akzeptieren, dass diejenigen, die etwas dagegen tun könnten, selbst Feiglinge sind und lieber Kohle machen, als für Gerechtigkeit zu sorgen.
Und weißt du was?
Ich gebe nicht auf. Es wäre geil, wenn du in Zukunft zu mir kommst und wir uns einfach an die Hand nehmen, einander ansehen und beide wissen: Es braucht keine Worte zwischen uns. Wir haben die gleiche Mission und wissen es.
Und vielleicht sterben wir dann eines Tages eines natürlichen Todes und blicken auf ein paar Momente des Glücks und der Zufriedenheit zurück, auch wenn ich momentan nicht weiß, wo ich die finden soll.
.kinoticket-Empfehlung: Macht, was ihr wollt.
Nachspann: ⚪️⚪️⚪️ | Hier folgt nichts weiter, rausgehen erlaubt.
Kinostart: 27. April 2023
Original Title: The Whale
Length: 117 Min.
Rated: FSK 6
Auch interessant für dich
Living – Einmal wirklich leben
Beau is Afraid
Sisu